Haruki Murakami: „Nach dem Beben. Erzählungen“

Haruki Murakami: „Nach dem Beben. Erzählungen“, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Köln 2003, zuerst Tokyo 2000 unter dem Titel „Kami No Kodomo-Tach! Wa Mina Odoru“, 186 Seiten, 19,90.-

Warum erinnert mich die Lektüre dieses sich der quadratischen Form nähernden Bändchens an einen Marshmallow?
Es ist ein, zwei Wochen her, dass ich es zu Ende gelesen habe – und es hat, früher schon, quasi keine Spur in mir hinterlassen, den Frosch vielleicht ausgenommen. Das kann etwas mit mir, es kann etwas mit dem Buch zu tun haben.
Merkwürdig distanziert wirkt das, es sind keine Geschichten, die den Leser hineinziehen. Sie wirken eher symbolisch oder parabelhaft. Erzählungen, die wenig verbunden sind – der gemeinsame Bezug, auf den im Titel angespielt wird, hat auf mich künstlich, wenn nicht gewaltsam gewirkt. Ich hätte diesen auch gar nicht gebraucht. Ich kann auch einen Band mit Erzählungen lesen, die nichts zusammenkettet, wenn sie gut sind. Murakamis Stil ist trocken, fast steif, lässt den Leser draussen. Was die Figuren äussern, wirkt zuweilen etwas einfältig. Sinnliches Erzählen scheint diesem Autor nicht wichtig zu sein. Was ist ihm wichtig? Mir ist es nicht ganz klar, lese ich ihn einfach falsch? Oder ist das alles nur etwas mit Geheimnis aufgepumpte Oberfläche? Daher der Marshmallow-Eindruck?


Ein Umschlag in Orangetönen, ein ungewöhnliches, tagebuchähnliches Buchformat, beim ersten Biss hinein ein Aufschmecken, aber dann – es gibt nach wie nichts, wenn man darauf beisst, es macht nicht satt und man hat es schnell vergessen; ein Buch wie nicht gewesen. – Ein verlegerischer Idealfall: Sofort könnte man das nächste nachschieben. – Wenn einen nicht nach Gehaltvollerem hungerte, nach einer ordentlichen Brotkruste, nach einem geräucherten Stück Speck, nach kalter, gesalzener Butter. Was der Autor ganz nett macht, ist implizit die Frage zu stellen, bis wohin Realität reicht, respektive unsere Wahrnehmung von ihr. Aber ist das originell, genügt das? Andererseits würde man nicht sagen wollen, dass es sich um ein schlechtes Buch handelt. Obwohl auch dieses wieder Fehler hat:
S. 18: „Zunächst will ihnen einmal das Päckchen geben“ – hier fehlt das „ich“.
S. 78 und 79: Ärgerlich wie immer, das Verwechseln von „das“ und „dass“. Es ist ja kein Schulaufsatz, es ist Literatur.
S. 172: Da steht „ausziehen“ wo es „auszuziehen“ heissen muss.

Aber das ist hier nicht der wesentliche Punkt. Finde ich zu dem Buch keinen Bezugspunkt? Oder es zu mir? Es packt mich nicht. Und dann sind da Sätze wie „Ihr Lächeln berührte die Achse in seinem Innern, und die Zeit begann zu flattern wie eine Gardine im Wind.“ (S. 181) Ist das ein gutes, überzeugendes Bild? Die Zeit flattert wie eine Gardine im Wind? – Man wäre begierig darauf, zu lesen, was andere Übersetzer aus dieser Passage gemacht hätten. Und dann steht zwei Sätze weiter noch dieser: „Dann umarmten sie sich auf dem Sofa, und ihre Lippen fanden sich.“ (Ebd.) Du meine Güte – so ein Satz kann doch nicht wahr sein! Geht es noch abgeschmackter, biederer: „ihre Lippen fanden sich“ – das kommt direkt vor – oder nach: „und sie wurden eins“. Nee, so doch bitte nicht. – Es ist nur die Frage, ob solche Sätze Murakami oder der Übersetzerin zur Last gelegt werden müssen. Aber das irritiert noch zusätzlich. Würde man sich über die Nachricht, das Buch sei von einem Hochstapler geschrieben worden, wundern? Vielleicht tut man dem Autor Unrecht, vielleicht muss man ihn anders lesen – aber müsste er dann nicht selbst und implizit die Anleitung dafür mitliefern?! Die dem Buch vorangestellten Motti von Dostojewski und Jean-Luc Godard hatten etwas anderes erhoffen lassen.


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