Sherwood Anderson: „Pferde und Männer. Erzählungen, lange und kurze, aus dem amerikanischen Leben“, Bremen und Hamburg 1996, heute Stollham-Butjadingen, hrsg. und aus dem amerikanischen englisch übersetzt von Jürgen Dierking, im Original zuerst 1923 als „Horses and Men“, 379 Seiten, zurzeit wohl nur gebraucht im Internet ab etwa 13 Euro, ursprünglich beim Verlag 20 Euro
Nur zu gern hätte man dieses Buch sehr gelobt, es hätte es im Grunde verdient.
Nur ist leider der Eindruck, den man gewinnen muss sehr zwiespältig.
Sehr erfreulich und begrüssenswert ist, dass dieser Band Erzählungen nun endlich, nach immerhin 85 Jahren, ins Deutsche gebracht wurde. Erfreulich vor allem deswegen, weil die Erzählungen eine Frische bewahrt haben und eine Atmosphäre transportieren, die erstaunlich ist: Leicht und humorvoll wird von Schicksalsschwerem erzählt.
Auf der anderen Seite ist dieses Buch derart voller Druckfehler, dass man es kaum fassen kann. Hat es keine Durchsicht, keinen Lektor gegeben? Obwohl, die meisten Fehler hätte schon ein ganz normales, durchschnittlich gutes Korrekturprogramm jedes PCs problemlos gefunden. So aber liegt hier ein Buch vor, das eigentlich noch nicht publikationsreif ist. Das ist unendlich schade, weil es sich wie gesagt um ein schönes, ja wertvolles Buch handelt, das eine andere Behandlung mehr als verdient gehabt hätte. Diese Ausgabe aber wirft weder ein gutes Licht auf den Verlag noch auf den Übersetzer. Denn zuweilen wecken die Fehler, nicht selten zwei und drei auf einer Seite, auch Zweifel an der Güte der Übersetzung.
Jedenfalls ist diese publizierte Rohfassung beinahe eine Frechheit dem Autor und auch dem Leser gegenüber. Auch bei einem kleinen Verlag sollte so etwas in dieser Form nicht vorkommen, denn so verärgert oder vergrault man gutwillige Kunden und geneigte Leser.
Die Fehler hier alle aufzuzählen ist nicht möglich und nicht sinnvoll.
Aber um das Gesagte ausreichend zu belegen, hier einige Beispiele:
S. 23/3: „(…), aber gehen Sie gleich, wenn er erste Vorlauf (…).“
Natürlich muss es „der erste“ heissen.
S. 28/2: „Und nachdem wir gegessen hatte, (…).“
„Hatten“ hätte es heissen müssen.
S. 29: „(…) dunkel und süss wir eine Apfelsine.“
S. 34: „(…) nicht mein Fehler, dass ich den Tag nicht mir ihr verbracht habe.“
S. 46: „(…), und Lillian erschien auf er oberen Hauptstrasse von Bidwell.“
Und so geht es munter weiter:
S. 100: „(…); dann hab sie eine weisse Hand (…).“
Sie „hob“ wohl.
S. 109: „Das Leben eines Mannes hängt davon auf, dass ich aufpasse.“
Ganze Worte werden auch velwechsert.
S. 123: „Die ganze Sache wurde aufgegeben werden müssen.“
Da kann man schon ein Knötchen im Hirn bekommen: Konjunktiv hätte hier stehen müssen.
S. 134: „(…) war er durch einen schweren Ball verletzt worden, der ihn an der Schläfe trag, als er am Schlag stand.“
S. 134: „“Jetzt aber, fangen Sie hier ja nichts an.““
Sollte dieser Satz Absicht sein?
S. 134: „Er war ein grosser Mann mit blauen Augen und safter Stimme, (…).“
Wenn es wenigstens eine „saftige Stimme“ gewesen wäre!
S. 135: „Die Kutsche ratterte über das Kopfsteinpflaster davon, und mehrere jungen Männer…“
S. 146: „(…) ein Messer erhoben hatte, dass ihr im nächsten Augenblick…“
Diesen Pennäler-Fehler in einem Buch zu finden ist peinlich: „das“!
So geht es fort und fort.
„Ihm“ und „im“ werden verwechselt, (S. 162), „füttern“ und „füttert“ durcheinander geworfen, (S. 188), „dannn“ wird mit drei „n“ geschrieben, Singular und Plural gehen durcheinander: „Ort“ versus „Orte“, S. 191, die Zeiten purzeln: „erreichten“ und „erreichen“, S. 191, und so weiter. – Grausam. – Es gibt „Nacharn“ statt „Nachbarn“ (S. 236), auch die Fälle trennt man nicht: „seinem Vorschlag“ und „seinen Vorschlag“ (S. 295). Sinnentstellendes wird aber auch geboten: „Neben“ und „Nebel“ etwa, S. 302. „Und führte es wen“ muss doch wohl „und führte es weg“ lauten. (S. 341) Wie glücklich ist dieser Satz: „Später verliess er bei Nacht die Stadt, in einer dunklen Nacht, da man, um sich zu retten, die Hand nicht vor Augen sehen konnte.“? (S. 116) Und ist dieser stimmig: „Vielleicht war alles Leben so, ein ungeheures Ausmass und Leere.“? (S. 303)
Zudem sind ein Kornett und ein Horn wahrlich nicht das gleiche Instrument. (Vgl. S. 288)
Genug davon, diese Blütenlese wird einen Eindruck von dem Desaster vermitteln. Zahl und Art der Fehler korrumpieren das Vertrauen des Lesers in die Übersetzung.
Zum Text und dem Autor selbst:
Der 1876 geborene Sherwood Anderson gilt als Vorläufer von Hemingway und Faulkner, er verliess mit 14 die Schule und arbeitete in verschiedenen Berufen, bevor er im Jahr 1913 einen Nervenzusammenbruch erlitt, Arbeitsplatz und Familie verliess und ein Leben als Schriftsteller begann. In Paris lernte er 1921 Gertrude Stein und James Joyce kennen und freundete sich 1922 mit dem jungen Faulkner an.
Im vorliegenden Band zeigt er ein geradliniges Erzählen von wesentlichen Dingen, Erzählungen nahrhaft wie Brot und teils, besonders zu Beginn, stark ans Mündliche angelehnt.
Seine Figuren und die Art wie er über sie erzählt oder sie erzählen lässt, prägen sich unwillkürlich ein und – etwa in „Der Mann, der zur Frau wurde“, erzeugt er richtig Spannung, während in „Ein Chicagoer Hamlet“ indirekt über das Erzählen und seine Wirkungen nachgedacht wird.
Sehr schön und tragisch oder tragikomisch die erste Erzählung „Ich bin ein Dummkopf“, in der eine einmalige, verpasste Gelegenheit das Thema ist, die durch unnötiges eigenes Verschulden unwiederbringlich durch die Lappen geht. Eine Gelegenheit, die ein Leben verändert hätte. Es erinnert von Ferne an Baudelaires „A une passante“.
Anderson hat grosse, basale Themen, behandelt sie aber mit selbstverständlicher Sicherheit und Leichtigkeit; das zu Lesen macht grossen Spass. Man fragt sich, ob es heute noch möglich ist, so zu erzählen und wer es wohl könnte. Unnötige Kompliziertheiten oder Manieriertheiten erwarten einen bei ihm nicht. Geradlinig und als ein guter Handwerker geht er zu Werke. Sicher, was damals die Pferde waren, wären heute wohl die Autos, aber was den menschlichen Bereich betrifft, sind seine Erzählungen so frisch wie am ersten Tag.
Und Einsichten gibt es obendrein: „In den Familien arbeitender Menschen werden die dramatischen und kritischen Augenblicke des Lebens mit Schweigen übergangen.“ (S. 293)
Oder das bonmothafte: „Ohne Whisky kann kein Volk all dieser Hässlichkeit widerstehen.“ (S. 176) – Was wäre unter diesem Aspekt heute über den Bedarf an Lebenswasser und Rauschdrogen zu sagen?
Hervorragend die Erzählung „Ein Chicagoer Hamlet“, die mit düsterer Zeitkritik beginnt und dann zur Hymne an diesen Tom wird, der ihr gebrochener Held ist und Folgendes sagt: „Ich wusste, damals wie jetzt, Bescheid über die Wichtigkeit von Büchern, soll heissen: von wirklichen Büchern. Es gibt nur ein paar solcher Bücher in der Welt, und es dauert lange, sie ausfindig zu machen. Kaum jemand weiss welche es sind, und einer der Gründe dafür, dass ich nie geheiratet habe, ist der, dass ich keiner Frau gestatten wollte, sich zwischen mich und die Suche nach den Büchern zu drängen, die wirklich etwas zu sagen haben.“ (S. 186)
Ein hochinteressanter Charakter mit einer ebensolchen, auch traurigen Biographie. Der Anspruch, der hier an die wenigen hehren Bücher, die die es wert sind, gestellt wird, dürfte Tom vom Erzähler in den Mund gelegt worden sein, wohl auch in eigener Sache. Es geht um das Echte und um Greifbares. Selbst das Schreiben wird einem ungewöhnlichen Vergleich unterzogen: „Ich nehme an, dass Tom, wenn er Schriftsteller werden würde, genau das empfinden wollte, was in seiner Vorstellung der alte Pop empfand, wenn er mit seinem Pferd aus der oberen Kurve kam und die Gerade vor sich hatte, und wenn er sein Pferd als Sieger ins Ziel bringen wollte, musste er es genau dann schaffen.“ (S. 213 f.) Sehr amerikanisch eben.
Bei Anderson geht es nicht um Nebensächlichkeiten. Es geht um Männer und Frauen, um den rechten Weg im Leben. Um Aufrichtigkeit. Um Schwarze und Weisse. Um die Folgen kleiner Handlungen, Fehler, Versäumnisse oder Lügen für das ganze Leben.
Diese grundlegende Klarheit im Wesentlichen oder der Umstand, dass klar ist, was wesentlich ist, führt zu Sätzen wie etwa diesem: „Seine Frau war zwar in Ordnung, aber wenn man der Sache auf den Grund ging, schien allen Frauen ein Sinn für die Stellung zu fehlen, die ein Mann im Leben einnahm.“ (S. 298)
Anderson schreibt über Angst und Trost, Erfolg und Misserfolg und wie nah sie beisammen wohnen, über Gefühle, Einsamkeit vor allem, über Männer und Frauen und Arbeit und Traurigkeit. Was er kann ist, einen in einfachen Worten gesetzten panoramatischen Überblick über eine Stadt oder eine Situation geben und gleichermassen eine feinfühlig-differenzierte Schilderung der inneren Situation einer Person. Seine Texte kreisen um das einfache Leben, seine Kämpfe und Verstocktheiten, seine Spiele, auch die grausamen, und die es begleitenden Enttäuschungen. Wie er davon erzählt, hat etwas Tröstliches.
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