Richard Yates: „Verliebte Lügner. Short Storys“

Richard Yates: „Verliebte Lügner. Short Storys“, aus dem Amerikanischen von Anette Grube, München 2007, zuerst unter dem Titel „Liars in Love“ in New York im Jahr 1981, die deutsche Ausgabe hat 315 Seiten und kostet 19,95.- Euro

Richard Yates, der Mann mit der unglücklichen Biographie, der zu spät entdeckt wurde, wird hier im Blog nicht zum ersten Mal besprochen, er ist einer der Grossen, auch in seinen Short Stories, sieben Titel im vorliegenden Band. Mit unheimlicher Präzision entfaltet er die selbstverständliche Unglücksmaschine des Alltags oder der Welt schlechthin. Woher rührt der Sog, den diese Geschichten im Leser zu entfachen in der Lage sind? Denn „Spass“ im eigentlichen Sinn macht es nicht, seine Geschichten zu lesen. Dennoch kommt man nicht von ihnen los und auf unterirdische Art geben sie einem eine gewisse Befriedigung, trotz all der ausgebreiteten Mittelklasse-Tristesse – oder wegen ihr?
Yates“ Darstellung entlarvt. Aber ohne Aufdringlichkeit, ohne Fahnenschwenkerei und Triumphgeheul. Sondern sehr still, sehr nüchtern, fast angestrengt verhalten. Er erzählt und etwas wird deutlich. Er erzählt Normales und das heisst nun mal: Vom Scheitern. Er berichtet von Gemeinheiten, von Alkoholmissbrauch, von Trennungen, von mangelnder Liebe und mangelndem Verständnis, davon wie sich Menschen verfehlen, mit oder ohne Schuld, sofern das eine Rolle spielt. Er erzählt von Desillusion. Er erzählt von dem, was nicht ausbleiben kann. Er erzählt vom unheimlichen Uhrwerk des Scheiterns. Vom Schäbigen in unser aller Leben. Einfach weil es ist wie es ist. – Woher dennoch der Sog, das Lesen-Wollen oder -Müssen?


Weil wir selbst erfahren mussten, dass Liebe und Anstrengung, Hoffnung und guter Wille nicht reichen und nicht selten mitten in ihr Gegenteil führen? Weil uns interessiert, dass es anderen auch so geht? Dass Unglück allgemein ist und deswegen weniger persönlich und weniger gross und schlimm? Oder sind wir einfach auch fasziniert von der Mechanik des Unglücks, von seinem notwendigen Ablauf, von Beginn an, von seinem unweigerlichen Eintreten, so oder so? Oder sind wir gespannt darauf, wie es diesmal geschieht, welchen Weg oder welches Medium es sich diesmal auserkoren hat? Yates“ Sprache ist einfach und schnörkellos wie die Kafkas und die Aussichtlosigkeit seiner Texte ist wie bei Beckett. Er erzählt noch, aber so, dass man sich schon fragen kann: Wofür? Und würde vielleicht auch hier ein „noch“ anhängen. Denn es schwingt ein „es ist wie es ist“ mit. Und es ist nicht gut. Oder doch allenfalls sehr momentweise. Die Welt wie sie ist genügt nicht und macht nur wenig Vergnügen. Immerhin, man kann darin noch davon erzählen. Die beste aller Welten sähe anders aus.
„Die Welt ist ungefähr so nett wie Scheisse“ sagt eine der Figuren in „Ein natürliches Mädchen“.
Die Welt ist nicht nett, sie ist gleichgültig. Und das ist grausam.
Gott ist ausgefallen. Trost gibt es nicht wirklich. Von Erlösung kann keine Rede sein. Man stolpert durch“s Leben, man verfehlt sich, erleidet Schmerzen, fügt Schmerzen zu und viele versuchen sie im Alkohol zu ertränken, was selbst wiederum im Ansatz zum Scheitern führt. Die Welt ist was der Fall ist, aber alles fällt in dieser Welt. Dinge vergehen und nichts wird besser, im Gegenteil. In wenigen, wie hingeworfenen Sätzen scheint so der Verfall auf, werden ganze Leben trocken entwertet: „Und ihre Mutter, einst eine junge Frau, von der, so glaubte David Clarke damals, sein Leben abhing („Aber es stimmt, ich meine es ernst; ich kann ohne dich nicht leben, Leslie…“), war zu einem verletzten, gedankenverlorenen, stämmigen und mitleiderregend freundlichen Geschöpf mittleren Alters geworden.“ (S. 60 f.)
Totale Desillusionierung. Ein vernichtendes Urteil über ein Leben in einem Satz. Was einmal in der Jugend zu viel Höherem angetreten ist, verkommt zu etwas Mittelmäܟigem, ja Mitleiderregendem. Traurig. Der Lauf der Dinge? Yates“ Blick auf die Welt ist einer hinter die Kulisse und den abgenudelten Mythos vom amerikanischen Traum. Yates ist kein Bafler, er ist Realist, knallhart, auch wenn“s wehtut. Oder damit. Wo liegt der Mehrwert seines Erzählens? Man bringt doch nicht so viel Energie auf, nur um zu sagen wie es nun einmal ist. Oder wäre schon die Wiederholung oder das pure Ins-Worte-Fassen bereits eine Erleichterung, steckt ein „Gegen“ darin? Oder ist es das Aufmerksam-Machen? Weist Yates den Leser darauf hin: Sieh, so sieht es aus! Denn viele seiner Figuren sind sich ihrer Unpassendheit oder ihrer Unvollkommenheit, ihrer strukturellen Fehler ja gar nicht bewusst. Und sind das vielleicht sogar die wertvolleren Figuren? Liegt darin vielleicht der oder ein Grund des Leseinteresses in Bezug auf Yates? An einer Stelle heisst es: „Und ich nehme an, dass sie was auf dem Kasten haben. (…) Das ist oft so bei Leuten, an denen das Leben vorbeigeht.“ (S. 118) Bezieht das der Leser auf sich? Oder möchte er es wenigstens? Darf er? Liegt darin ein Funke des Trostes, dessen alle bedürfen? Gibt es einen Spritzer Grösse in der allgegenwärtigen Schäbigkeit und Tristesse? Jeder ein begabtes Kind? Oder ist es gerade umgekehrt und führen Ideale, führt zu hoch Gespanntes, am Ende gar Romantisches in notwendiges Unglück? In „Grüsse zu Hause“ wird eine Mutter als „Freigeist“ bezeichnet, doch dann verwandelt sie sich zu einer sabbelnden, kindischen, schmutzigen und unverantwortlichen Person, deren Mund „entweder griesgrämig oder ausgelassen verzogen war.“ (S. 207) Das ist beides zu eng zusammen, als dass es ohne ursächlichen Zusammenhang sein könnte.

Das legt den Gedanken nahe, dass Yates selbst einmal einer dieser vielleicht selbstverliebten, vielleicht traumtänzerisch-romantischen oder seinen Selbsttäuschungen erlegenen Typen war, ihn dann aber die harte, gnadenlose Wirklichkeit einholte und ihm die Hörner abstiess, die Augen öffnete, das Thema seines Schreibens diktierte. Mag sein, dass da seine Nähe zu den Figuren herkommt oder, allem zum Trotz, eine gewisse Wärme oder Verständnis in seinen Texten oder aus ihnen heraus. Es liegt nahe, anzunehmen, dass er sich selbst als Gescheiterten sah, sehen musste. Und so wird sein lakonisches Schreiben von den geplatzten Träumen und Hoffnungen nicht nur Korrektiv, sondern auch Härte gegen sich selbst sein, hart gewordene Rache, gefrorene Liebe. Und ein Grund, seine Figuren nicht blosszustellen oder zu denunzieren. Wohl meinte er selbst falsche Selbstbilder, evtl. hochfliegende Schriftsteller-Karrieren-Pläne, sich eingestehen und als romantische Träumerei erkennen zu müssen, um sie dann, schon den Zigaretten und dem Alkohol verfallen, in seinen Figuren und Büchern zu schildern – nur dass er sich ja vielleicht täuschte, nur lebte er leider nicht lange genug, um seine zu späte Entdeckung und sein Gefeiert-Werden als moderner Klassiker noch mitzuerleben. – Heisst das etwas für die romantische Idee? Weniger einsam macht auch das nicht. Und weniger banal? Was sollten seine Figuren eigentlich tun? Was könnten sie besser machen, die kleinen Lebenslügner? Und gibt es überhaupt etwas anderes als sie? Gibt es Alternativen? Selbstbewusstwerdung? Durch Yates-Lesen? Stammt ein Teil der Kraft seiner Texte daher, dass sie bereits eine Läuterung durchlaufen haben, sie aber nicht präsentieren, sondern erzählen? Erzählen davon, wohin Fehler und falsche Bilder führen, egal wo sie herkommen und was wir für sie können oder nicht können? Erzählen von Beschädigungen. Ein Stück der Qualität, ja der Grösse bei Yates scheint seine grosse, dem Rausch abgetrotzte Nüchternheit zu sein, sein Realismus, sein genau Hinsehen ohne Weinerlichkeit und ohne sich den – wirklichen oder scheinbaren – Gesetzen des Realismus auszuliefern und anzudienen, wie es etwa die Hauptfigur in „Was treibt Sammy an?“, hier im Blog besprochen, tut. Die Dinge sind wie sie sind. Sie sind vielleicht nicht gut. Aber vielleicht ist das egal. Sie sind. Man kann davon erzählen. Und lesen. Vielleicht geht nicht mehr. Kann sein. Aber das geht.
Nach Gründen zu fragen ist vielleicht schon vermessen oder schlicht Unsinn. Auf der Rückseite des Buches steht ein Zitat aus einer der Stories, ein Dialog-Fragment zwischen Vater und Tochter: „Na gut, du liebst mich nicht mehr. Aber sag mir eins. Sag mir, warum.“ „Es gibt kein Warum“, sagte Susan und war dankbar, dass ihre Stimme normal klang. „Es gibt ebenso wenig einen Grund, warum man nicht liebt, wie es einen Grund gibt, warum man liebt. Ich denke, die meisten intelligenten Menschen begreifen das.“
Diese fatalistische Haltung einer der Figuren muss man nicht teilen, selbst der Erzähler muss sie nicht teilen. Aber sie hat auch eine starke Seite: Hier wird nicht end- und fruchtlos bohrend gefragt, es werden Antworten gar nicht gesucht. Das Leben und was es bringt werden einfach hingenommen. Vielleicht kann man mehr nicht tun – und davon erzählen.


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