Dimitri Verhulst: „Problemski Hotel“

Dimitri Verhulst: „Problemski Hotel“, Roman aus dem Niederländischen von Barbara Heller, zuerst unter gleichem Titel 2003 in Amsterdam erschienen, auf deutsch 2004 in Berlin, 139 Seiten, als Taschenbuch 6,95 Euro

Verhulst ist ein radikaler Autor. Und das ist ein Lob.
Ist er in „Problemski Hotel“ ein Zyniker, ist er ein Moralist?
Jedenfalls scheint er einer zu sein, dessen Gebiet das Grobe und das Krasse sind. Abschaum und Gosse liegen ihm. Es gibt da, sein Familienroman „Die Beschissenheit der Dinge“ legt das nahe, biographische Affinitäten.
Von unten, das ist also seine Perspektive.
Und so hat er sich für ein paar Tage ein Asylantenheim von innen angesehen und sich davon inspirieren lassen. Zuerst für einen Magazinartikel, dann für dieses Buch. Spannend erzählt er davon, es macht Spass ihn zu lesen, auch wenn er mit dem was er schreibt die Geschmacks- und Ekelgrenzen tangiert und zuweilen auch überschreitet. Sprachlich nähert er sich mit schnoddrigem Zynismus, aber das Herz hat er am rechten Fleck, daran gibt es keinen Zweifel.
Sein Bericht vom Leben „ganz unten“, hiess es nicht einmal bei Günter Wallraff so?, kann teils Mitleid erregen, teils schockieren – und will das sicher auch.


Doch erhebt sich auch die Frage: Darf er das? Ist das in Ordnung, was er macht? Denn auf dem Buch steht „Roman“. Ist es ein Roman? Er selbst schreibt, dass die Hälfte der Begebenheiten im Buch erlebt sind. Die andere Hälfte demnach nicht. Und hat ein solches Schreiben nicht unter Umständen – und gegen seinen Willen – doch auch etwas Denunziatorisches? Wie steht es ums Verhältnis zwischen Fiktion und Dokumentation?
Wichtige Fragen. Wie stellt man sich dazu? Liegt hier wirklich ein grundlegendes Problem?
Das ist nicht leicht zu entscheiden und muss hier evtl. auch nicht entschieden werden. Mag jeder Leser sich selbst seine Gedanken darüber machen.
Erzählt wird Hartes, Trauriges, erzählt wird von Flucht, Hunger, Abhängigkeit, Hass, Rassismus, Langeweile, von Entrechtung, Gewalt, Folter und Tod, erzählt wird der Asyl-Aberwitz von innen. Teils hat man den Eindruck, dass sich da einer auskotzt, dass der Schock hier das gesuchte Programm ist. Erzählt wird davon, was ist, wenn nichts mehr ist, wenn man alles verloren hat, wenn man das nackte Leben in ein fremdes Land gerettet hat, das einen nicht will und braucht und in Container pfercht. Wie menschenunwürdig werden Menschen behandelt? Dabei, und das ist gut so, besteht nie die Gefahr, die Betroffenen zu den besseren Menschen zu deklarieren. Opfer und Täter, das ist bei näherem Hinsehen immer auch eine Frage der Perspektive.
Die Begebenheiten sollen nicht verraten werden, aber eine Vorstellung davon gegeben, wie Verhulst schreibt:
„Auch ein trauriges Leben unterliegt Veränderungen, das hat Ifeanyi zur Genüge bewiesen, doch was sich ständig verändert, ist das Leben selbst, nie die Traurigkeit. Bis gestern konnte man sich hier an der Rezeption ein Fahrrad ausleihen – zumindest hatte das Gefährt Pedale, einen Sattel und einen Lenker. So konnten wir ab und zu ins Dorf fahren, um auf andere Gedanken zu kommen. Um Auslagen anzuschauen, denn Träume brauchen wenig Nahrung. Die meisten benutzten das Rad, um sonntags zur Messe zu fahren. Und da hier nichts los ist ausser einer gelegentlichen Schlägerei zwischen einem Tschetschenen und einem Neger, wobei um etliche Zigaretten auf den Tschetschenen gewettet wird, konnte man davon nur katholischer werden.“ (S. 88)
Verhulst schreibt schonungslose und vielleicht auch trostlose Bücher. Aber er schont auch sich selbst bzw. seinen Erzähler nicht. (Vgl. S. 105)
Die Boshaftigkeit und sarkastische Härte dessen was er sagt, trifft allerdings mehr diejenigen, die für die Asylantenheime und die darin bestehenden Zustände verantwortlich sind, als die Beschriebenen selbst. Er trifft die Willkür und die würde- und verständnislosen Umstände. Und wie in „Die Beschissenheit der Dinge“ findet er einen sound, der die Komik der Situation ebenso zeichnet wie er einem das Lachen bei nächster Gelegenheit wieder in den Hals zurückstopft. Rücksichtslosigkeit gleich in mehrere Richtungen ist sein Markenzeichen. Dennoch liest man das Buch gern, ja es liest sich fast von selbst. Und das ist auch schon ein Kunststück, einen Page-turner über dieses Thema zu schreiben. Diese politisch wunderbar unkorrekte satirische Provokation sollte sich keiner entgehen lassen.


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Kommentare

7 Antworten zu „Dimitri Verhulst: „Problemski Hotel““

  1. Avatar von uwe
    uwe

    Ich kann es kurz machen:
    Ich stimme mit dir überein.
    Ein lesenswertes Buch, mit viel Witz und dem Wissen geschrieben, wann die Mittel des Schocks, des schwarzen Humors, der Satire oder der Empathie sprachlich einzusetzen sind.
    Wie du finde ich, dass es ein wichtiges Buch ist, dass seinen deprimierenden Gegenstand bei allem Zynismus und Sarkasmus doch auch genau und gnadenlos ehrlich beschreibt. Sowohl die äuߟeren menschenverachtenden Verhältnisse als auch die korrespondierenden inneren, moralischen Anschauungen werden klar benannt. Niemand wird verschont, selbst die „Opfer“, die Asylsuchenden, werden als manifeste Rassisten und gewalttätige Frauenhasser sichtbar. Und auch das Erzähler-Ich outet sich in seinen oftmals kruden, auf den Schock zielenden Beschreibungen als jemand, der nur darauf aus ist, den passenden sprachlichen Rahmen für das Wirkliche zu finden. Wir lernen ja alles durch seine Perspektive kennen, und es ist eine, die ihr Gegenüber objektiviert, zum Gegenstand eines Interesses macht. Deshalb sind auch die beiden ersten Kapitel so wichtig, denn in ihnen wird sein Selbstverständnis als Fotogaf resümiert, ein Selbstverständnis, das allein auf das Erreichen des „perfekten Bildes“ ausgerichtet ist, eines lucky shots, der seinen Ruhm begründet. Am Ende des Buches wird er selbst zum Bildgegenstand eines anderen Fotografen: Der zynische, menschenverachtende Blick, den er zu Beginn auf das sterbende Kind wirft, trifft ihn am Ende selbst. Vielleicht scheint hier eine Kritik des Autors Verhulst an einem solcherart distanzierten, gefühlskalten Betrachterstandpunkt auf.
    Wie du sehe ich zudem den Knackpunkt des ganzen Werkes in dem nicht geklärten Verhältnis zwischen Fiktion und Dokumentation. Ich will es einmal pointiert formulieren:
    Wird hier nicht dokumentarisches Material in einer bewusst politisch inkorrekten Weise zu einer satirischen Fiktion verarbeitet, die schockieren will? Zugegeben, der zynische, schroffe Ton trifft den Kern der menschunwürdigen Verhältnisse, er bleibt bei aller ߜbertreibung eine Beschreibung realer Umstände. Doch warum mit den Mitteln der Fiktionalisiserung, warum der Sprung von der Reportage zum Roman? Worin besteht die Notwendigkeit, ein literarisches alter ego ins Rennen zu schicken, zumal eines Charakters, der selbst von dem betroffen ist, was er aus einer vermeintlichen Distanz heraus beschreibt (weshalb er am Ende wahrscheinlich auch als Objekt eines Dritten vorgeführt wird)? Diese ߜberlagerung von Fakten und Fiktionen und die Uneinsehbarkeit der Grenze dazwischen – das ist etwas, das stört, das man auch als formalen Mangel begreifen kann. Verhulst beteuert zwar, dass keine Lüge in seinen Schilderungen enthalten ist, aber warum schaltet er die Zwischeninstanz des Ich-Erzählers ein und veröffentlicht seinen Bericht aus der Asylantenheimhölle unter dem Label „Roman“? Welche Gedanken hast du dir dazu gemacht?

  2. Avatar von Helmut
    Helmut

    Welche Gedanken habe ich mir dazu gemacht?
    Vielleicht ist es ganz einfach und es hat ihn schlicht nicht losgelassen. – Vielleicht arbeitete diese Erfahrung, arbeiteteten diese Schicksale, die nur für viele viele andere stehen, in ihm weiter und es war darum für ihn nicht mit einem Magazin-Artikel beendet?

    Eine Möglichkeit, aber so man spekulieren darf bzw. muss, für mich nicht die Fernliegendste.

    Zudem:
    Wenn es so ist, gibt die Fiktion ja noch mehr Freiheit(en) an die Hand. Vielleicht wollte oder suchte oder brauchte er das.

    Es ist ja ein drastisches und ein politisch höchst inkorrektes Buch. – Das gibt nur die Dokumentation so nicht her. – Vielleicht lag ihm aber gerade das bes. am Herzen, womöglich auch, weil es dem Gegenstand angemessen schien?

    Der kalte Betrachter scheint mir ganz deutlich von ihm so inszeniert zu sein, dass er abstossen muss. – Ein sterbendes Kind für ein Foto zu inszenieren, wenn das keine Kritik enthält?! Im Grunde ist es ein Tabu, das hier gebrochen wird. – Und dann kommt der Tabubrecher selbst in die Mühle derjenigen mit dem kalten Blick, in einem belgischen Asylantenheim.

    Ich denke schon, dass er schockieren will – aber nicht um des Schocks willen, sondern um etwas zu erreichen, um die Menschen zu erreichen, um aufmerksam zu machen und, vielleicht, zu verändern.

  3. Avatar von uwe
    uwe

    Klar, Fiktionalisierung schafft für den Autor Distanz zum Erlebten und zugleich kann er durch die Vehemenz der gewählten literarischen Mittel dem Leser mehr auf die Pelle rücken. Im Medium des Fiktiven, vor allem eines fiktiven Erzählers, kann man leichter moralische Standards und Grenzen des politisch Erlaubten überschreiten. Das tut das alter ego von Verhulst im Roman auch zur Genüge. Diese erzählerische Strategie erreicht den Leser unmittelbarer, berührt ihn stärker, als es ein nüchterner Tatsachenbericht tun könnte. Das stimmt. Trotzdem bleiben für mich zwei Fragen offen:
    Warum entwirft er ein Erzähler-Ich, dessen Autorität als Berichterstatter er dann am Ende wieder unterminiert? Und warum genügt es ihm nicht, das dokumentarische Material mit drastischen literarischen Mitteln darzustellen, sondern muss darüber hinaus noch rein fiktive Szenarien hinzunehmen?
    Kannst du dir das erklären?

  4. Avatar von uwe
    uwe

    Ein Nachtrag. Vor zwei Wochen brannte ein Bus auf der A2 völlig aus. 20 Menschen starben in den Flammen. Der Busfahrer hatte vergeblich versucht, Autofahrer anzuhalten und um Hilfe zu bitten. Nur wenige hielten an. Eben habe ich eine Meldung gelesen, dass ein Mann mit seiner Handykamera, statt zu helfen, den brennenden Bus filmte und das Material dann einem Nachrichtensender verkaufte. Ein aktuelles Beispiel, dass mich an Maslis Gefühlskälte gegenüber dem Elend erinnerte. Kommt wahrscheinlich öfter vor als uns lieb sein kann. Was für eine Verrohung! Auch dagegen geht das Buch von Verhulst an.

  5. Avatar von Helmut
    Helmut

    Zu Kommentar 3:
    Ich bin mir nicht sicher, dass man generell sagen kann, Fiktion würde Distanz herstellen.
    (Und warum die pejorative Formulierung „dem Leser mehr auf die Pelle rücken“?)
    Zur 1. Frage: Könnte ich nur spekulieren.
    Zur 2. Frage: Das hatte ich in meinem Kommentar ja schon spekulierend überlegt. – Man müsste den Autor selbst fragen. – Könnte man versuchen.

    Zu Kommentar 4:
    Das ist so finster wie normal, fürchte ich.
    Das ist auch kein ganz neu beschriebenes Phänomen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es sich da um Verrohung handelt – und nicht viel mehr um etwas Anthropologisches.
    Das Auge als kalter Sinn?
    Voyerismus?
    Die Lage nicht schnell genug/ gar nicht einschätzen können?
    Vielleicht ein ߜberbleibsel aus der Ur-Horde?

    Nicht sehr hilfreich, ich weiߟ.

  6. Avatar von uwe
    uwe

    Das mit der Distanz durch Fiktionalisierung kommt sicherlich auf den Gegenstand, das Thema und die innere Souveränität des Autors an. Ich dachte vornehmlich an die literarischen Mittel und wie sie das Erlebte gestalten und dadurch von seinem Ursprungskontext lösen. Das sollte man von Fall zu Fall genauer betrachten und sich vor Generalisierungen in Acht nehmen. OK.
    Die Formulierung „auf die Pelle rücken“ war gezielt gewählt und auf meinen Leseeindruck zurückzuführen. Ich fühlte mich gerade durch Maslis zynischen und sarkastischen Ton, in denen er seine Kurzporträts der Insassen verfasst, angehalten, über meine eigene Sprachregelung und Haltung gegenüber diesem Themenkomplex nachzudenken. Gerade die Vehemenz und gezielte politische Inkorrektheit springt den Leser an, geht gewissermaߟen unter die Haut. So jedenfalls meine Erfahrung.
    Die Problematik des Erzählkonzepts bleibt bestehen. Es war mir wichtig, darauf hinzuweisen. Dem, was du spekulierend dazu zu sagen hast, kann ich folgen. Meine Bedenken bleiben allerdings bestehen.
    Voyeurismus als (ur-)menschliche Anlage, ein guter Hinweis. Doch angesichts des Elends untätig nur zuzusehen ist etwas anderes als daraus einen Profit ziehen zu wollen. Der Handyhalter will Geld verdienen, Masli will dies und noch dazu den Ruhm eines Starfotografen. Das mag nur ein gradueller Unterschied sein, aber einer, den man festhalten und benennen sollte.
    Interessant ist deine Formulierung vom Auge als einem „kalten Sinn“. Dem könnten wir nachgehen, ob nun an dieser oder an einer anderen Stelle. Ein spannendes Thema, wie ich finde. Auch etwas für die Sur-l-eau-Seite vielleicht, da wir dort ja auch oft über Fotos kommunizieren.

  7. Avatar von Helmut
    Helmut

    Wenn Dich das „kalte Auge“ interessiert – Gert Mattenklott hat, ich meine in „Der übersinnliche Leib. Beiträge zur Metaphysik des Körpers“ (Rowohlt 1983) etwas darüber geschrieben.
    Man müsste sehen, ganz einverstanden bin ich nicht mit allem…

    Moralisch ist es ein Unterschied, ob ich nur aus Unbeteiligtheit oder was immer zusehe oder ob ich von der Situation irgendwie profitieren will. – Vonb der Sache, vom Tun her, nicht so sehr.

    Meine Frage zur Fiktion bzw. zum Dokumentarischen fuߟte auch auf eigenen Eindrücken. – Ich habe Dokumentarisches gesehen, das mich sehr und nachhaltig beeindruckt hat – vielleicht mehr oder tiefer als Fiktionales. Und ich würde es sehr begrüߟen, wenn auch das Fernsehen dem mehr Zeit und Augenmerk widmen würde. – Da wäre dann wirklich was zu lernen.

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