Willy Vlautin: „Motel Life“

Willy Vlautin: „Motel Life“, aus dem Amerikanischen von Robin Detje, Berlin 2008, im Original unter fast identischem Titel „The Motel Life“ London 2006, 206 Seiten, 17,00 Euro

Geschichten des Scheiterns und der Erfolg des Erzählens.
Hier wird zu viel getrunken, ob Bier oder Jim Beam.
In medias res geht es mitten rein zu den sympathischen Underdogs von Reno – der grössten kleinsten Stadt der Welt, wie es im Buch heißt. Mitten im eiskalten Winter kracht eine Ente durch die Fensterscheibe. Eine Reminiszenz an FUB?! Wie auch immer. Dem Erzähler geht“s bescheiden, er kotzt nicht selten seinen wunden Magen aus, dann kommt sein einbeiniger Bruder mitten in der Nacht, weil er einen Jungen überfahren hat. Vielleicht hatte er nicht Schuld, aber er ist betrunken gefahren, darum holt er nicht die Polizei, sondern nimmt das tote Kind und packt es ins Auto, um seinen Bruder um Rat zu fragen. Von da an geht konsequent schief was schief gehen kann. Aber zwischendurch werden Geschichten erzählt. Denn die beiden Underdogs sind eigentlich Künstler, bloss wissen sie es nicht oder der Welt ist es, wie so oft, schnurzpiepe. Sein Bruder zeichnet. Er erzählt. Und er erzählt auch spontan, auf Verlangen, damit es jemandem besser geht; einmal davon abgesehen, dass er auch der Erzähler des vorliegenden Buches ist. So unterbrechen oder würzen viele Geschichten in der Geschichte das Buch.


Das Tröstliche des Erzählens oder Erzähltbekommens wird auch im Text selbst thematisiert:
„Das ist immer so. Eine traurige Geschichte, aber aus irgendeinem Grund macht sie den Leuten jedes Mal gute Laune.“ (S. 93)
So ist es auch mit „Motel Life“. Eine traurige Geschichte. „Aber aus irgendeinem Grund“ liest man sie gerne, ist bestens unterhalten von der lockeren, aber stilsicheren Beat-Schreibe und geht mit den Helden durch dick, vor allem aber durch richtig dünn.
Vielleicht hatten sie nicht viel Glück. Vielleicht hatten sie Pech. Vielleicht verlief ihr Leben ganz normal. Shit happens. Und man sucht sich zu helfen, mag es auch unkonventionell sein oder auch riskant oder schlicht blödsinnig.
So setzt es auch mal ne gut gemeinte Predigt und Ratschläge (S. 154 f.), aber werden sie gehört?
Der Autor Willy Vlautin, 1967 geboren, ist Sänger und Songschreiber der Folkrockband Richmond Fontaine.
Und dann, am nächsten Tag nach der Lektüre, von ganz weit hinten, meldet sich eine Stimme, die fragt: Ist das Kitsch? – Ist das Sozialromantik? Es hat doch Spass gemacht, aber…
Mag sich der geneigte Leser seine eigenen Gedanken machen, ob das alles trotz allem noch zu schön ist. Ob es realistisch ist, dass man in der Gosse so einer sein kann, wie die beiden sind. – Wer schösse sich aus Nicht-Ertragen-Können ein Kind schuldlos überfahren zu haben (ohne das irgendwie verharmlosen zu wollen) in den Stumpf des Beines um zu sterben? Das ist doch schon reichlich skurril. Und einen Bruder mit solcher Langmut muss man auch erstmal finden. Schliesslich wird auch noch ein leidender, frierender Hund befreit und entführt und darf auf sämtliche Betten, stinkt wahrscheinlich nicht, hat kein Ungeziefer… Sogar die verloren gegangene Ex-Freundin Annie findet sich wieder und ist merkwürdiger Weise nicht sauer auf ihn, sondern sie kommen wieder zusammen. So richtig böse und hart ist die Wirklichkeit denn doch nicht. – Zumal sich die Polizei zurückhält und man auch noch beim Boxkampf Tyson-Holyfield auf den richtigen setzt und einigen Schotter kassiert, der das Leben ja immer etwas einfacher macht.

Druckfehler gibt’s auch:
S. 64: „ala(r)miert“
S. 96: „geschlungene(s)“


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