Peter Kurzeck Lesung „Vorabend“

Wieder einmal hat Peter Kurzeck in Marburg gelesen, diesmal im Cafe Vetter, am 5.06.2011, aus seinem neuen Buch von ca. 1000 Seiten, mit dem Titel „„Vorabend““.
Ein Geheimtip ist er längst nicht mehr, mittlerweile hat man ihn bemerkt und ihm diverse Literaturpreise gegeben.

Offenbar erzählt Peter Kurzeck gern.
Die ܜbergänge von den einleitenden Worten zum vorgelesenen Text und das was er nach dem Lesen der Passagen aus seinem neuen Buch sagte, waren fast unmerklich.
Sein Erzählen folgt einer Poetik der Zärtlichkeit und des Aufbewahrens, oder genauer: Rekonstruierens. Vergleiche hinken immer, ob man ihn zurecht als „hessischen Proust“ ansprechen mag, darüber kann jeder selbst entscheiden, aber die Erinnerung vergangener Zeit und deren Bearbeiten und Bewahren durch das Schreiben sind ein möglicher Vergleichspunkt zwischen diesen beiden Autoren.
Kurzeck widmet sich mit seinem Schreiben dem, was er kennt. Er sieht genau hin und beschreibt genau, mit immensem Gedächtnis. Dabei gilt seine Aufmerksamkeit den „kleinen Leuten“ und eher nebensächlichen Dingen. Dazu stimmt, dass er auch Dialektales in seine Erzählprosa mit hineinnimmt. Er beschreibt auch, was er in der Kindheit gesehen hat, was aber nur einmal mehr deutlich macht, dass für die Literatur der Begriff räumlicher Provinz keinen Sinn macht.
Hinter diesem so sanften und sympathischen Erzählen kann man allerdings auch eine Manie vermuten. Kurzeck, so scheint es, erzählt nicht nur gern, er muss erzählen. Vielleicht seine ܜberlebensform.
Bei dieser Lesung fiel auf, dass er selbst vor dem Einfühlen in Tiere, Amseln zum Beispiel oder Hunde, die bis zwei, jedoch nicht bis drei zählen können, nicht haltmacht und dass Ironie und humorvoll augenzwinkernde Technikkritik, etwa anhand aufkommender Haussprechanlagen in den Sechzigern, einen Platz bei ihm haben.
Ihm fällt aber auch auf, dass das Wort „„Kleinigkeit““ erst seit den Fünfzigern Einzug in den“  Dialekt gehalten hat. Oder dass die Leute einer bestimmten Gegend nie „„Ja““, aber immer „„Jawoll““ sagten „– was er mit einer militärischen Assoziation, dem in der Zeit vor 1945 geprägten Habitus und imaginiertem Hackenzusammenschlagen assoziiert.
Was Kurzeck kann „– oder womit er geschlagen ist -, ist wohl eine besondere Wahrnehmung. Das macht seine Bücher wertvoll. Es ist eine Wahrnehmung, mit Walter Benjamin zu sprechen, der „vergessenen Effekten“. Mehrfach deuten auch Formulierungen Kurzecks wie „„wie im Märchen““ oder „„wie eine andere Welt““ darauf hin.
Wahrscheinlich ist das noch eine Kinderwahrnehmung, eine, die den Zauber des ersten Sehens nicht verloren und das sich Wundern nicht verlernt hat. Wie Kinder gebannt sein können vom Wahrgenommenen, so ist es Kurzeck als Autor noch „– und porträtiert diesen Zustand, für sich, aber auch für seine Leser.
Dahinter kann auch Weisheit stecken „– oder daraus resultieren.
Er will erzählen, bis alle verstehen. Alle verstehen, das heißt jedoch nicht, dass man hier didaktisch traktiert würde, im Gegenteil.
Kurzeck, das heiߟt auch, das reine,“  bloߟe Wahrnehmen als Glücksgefühl zu wissen „– oder wieder erkenntlich zu machen. Das klingt simpel, ist es vielleicht auch, aber es ist viel. Sehen ist ihm bereits eine Art Dichtung. Zu sehen, wie ein Pferd, das Durst hat, trinkt, ist für ihn beinahe eine Art Glücksgefühl. Das ist sehr zart, sehr hübsch.
Als Kind hat er das aufgesaugt, was heute noch potentiell unendlich aus ihm sprudelt.
Und daher scheint auch die Sinnlichkeit, vielleicht der Ton seines Erzählens zu rühren.


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