James Sallis: „Driver“, München 2007, aus dem Englischen von Jürgen Bürger, das Original erschien unter dem Titel „Drive“ in Scottsdale 2005, 158 Seiten, 16,90 Euro
America at his worst?
Diese abgehalfterten Kneipen und heruntergekommenen Spelunken, diese Beziehungslosigkeit, diese Underdogs, Knastis, Spinner, jeder auf eigene Rechnung, wenn es sein muss, mit trockener Brutalität.
Gern liest man es, weil es auf diese schnoddrig-lakonische Art erzählt ist. Direkt, schnell, hard boiled und mit dem coolen Pathos der Unter- und Übertreibungen, die man bereits etwa von Raymond Chandler kennt.
Ähnlich wie bei Chandler treten hier angeschlagene bis kaputte Helden in einer kaputten bis desaströsen Welt auf.
Dem entsprechend fallen die Bonmots aus: „(…), dass genau so das Leben war – nichts als eine lange Abfolge von Ereignissen, die nicht so liefen, wie man es sich ursprünglich vorgestellt hätte.“ (S. 24)
Oder: „Das Leben schickt uns ständig Botschaften – und sieht dann gemütlich zu und lacht sich einen darüber, dass wir unfähig sind, aus ihnen schlau zu werden.“ (S. 35)
Diese Welt scheint von einem Demiurgen geschaffen zu sein, das Beste an ihr, so scheint es in „Driver“, sind noch die Autos, manche wenigstens, wie der Ford F 150: „so anmutig wie eine Schubkarre, so zuverlässig wie Rost und Steuern, so unzerstörbar wie ein Panzer. Mit Bremsen, die eine Lawine aufhalten konnten, und einem Motor, der stark genug war, um Gletscher zu verschieben. Wenn Bomben die Zivilisation, wie wir sie kennen, auslöschen, werden zwei Spezies aus der Asche wieder hervorkommen: Kakerlaken und F-150er.“ (S. 117)
Was für ein Bild vom Leben wird gezeichnet, wenn es schon als ein gutes Leben gelten muss, falls es in ihm ein, zwei lichte Augenblicke gibt? (Vgl. S. 97)
Da kann man auch zu einem Schluss wie diesem kommen: „Zum Teufel auch, vielleicht war das ganze Leben dieses Jungen eine einzige unlogische Schlussfolgerung.“ (S. 86)
Das Genre des Krimis ist zugleich eines des Gesellschaftsromans. Und der vorliegende ist unter seiner harten, unterhaltsamen Schale, ein kritischer.
Ganz deutlich etwa, wenn es über einen Abkassierer heisst: „Er sah einfach nur, dass manche Menschen nie auch nur eine halbwegs vernünftige Chance hatten und niemals haben würden.“ (S. 128)
So sieht es aus – vergiss den american dream – die Wirklichkeit stellt sich für die Allermeisten ganz anders dar. Gut, es wird hier keine Soziologie betrieben, aber das ist die Folie auf der hier erzählt wird.
Es ist ein düsteres, abgehalftertes Amerika, was die folgende Stelle deutlich unterstreicht: „Ein Museum für amerikanische Kultur im Kleinformat, eine aufgeschlitzte Zeitkapsel – Burger- und Taco-Verpackungen, Limonaden- und Bierdosen, abgebundene Kondome, Seiten aus Illustrierten, Kleidungsstücke – wurden mit jeder Welle ans Ufer gespült.“ (S. 151)
Im Grunde wird hier eine postapokalyptische Welt porträtiert – und entsprechend sind die Figuren, die durch sie irren. Da ist etwas völlig aus der Fasson gegangen und es fällt einem Adornos Satz ein: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“
Auf S. 144 liest man: „Er erinnerte sich, wie es gewesen war, als jeder alles über den anderen wusste, und wie alle felsenfest davon überzeugt waren, selbst das einzig wahre, richtige Leben zu führen, während alle anderen falschlagen (sic!).“
So kann eine der Figuren resümieren: „Hatte er sich verändert, oder hatte sich die Welt um ihn verändert? Es gab Tage, da erkannte er sie kaum wieder. Als wäre er von einem Raumschiff abgesetzt worden und versuchte jemanden zu spielen, der hierher gehörte. Alles war so billig und geschmacklos und hohl geworden.“ (S. 136 f.)
Der Umstand, dass diese Sinnkrise eine hartgesottene Figur ankommt, ist interessant. Auch die ganz unten, ja natürlich gerade sie, sind Menschen und haben menschliche Gefühle, auch wenn die Gesellschaft sie für wertlos hält. Sie sind die, die keine Chance bekommen, die schnell im Knast landen oder draufgehen. Aber eigentlich sind weniger sie selbst aus der Spur, als die Welt in der sie leben.
Erzählt wird all das mit trockenem Humor und Tempo. Diese Sprache passt, macht Spass und findet dann und wann auch noch ein knalliges oder witziges Bild: „Auch wenn“s hier so aussieht“ (…) – inzwischen waren sie in Arizona -, „als hätte Gott sich hingehockt, gefurzt und ein Streichholz dran gehalten.“ (S. 127; vgl. auch S. 88/ unten)
Ein simpler whodunnit ist es nicht, hier wird nicht chronologisch erzählt, sondern komplex. Der Leser muss sich die Kapitel puzzleartig zusammensetzen. Das stellt Anforderungen bis hin zur Verwirrung, macht aber wohl auch deutlich, dass Chronologie hier keinen Platz mehr hat, einfach nicht mehr wichtig ist oder in diese Welt nicht mehr passt. Die Welt hat ihre rechte Ordnung verloren – vorausgesetzt sie hatte mal eine -, sie ist in Stücke gegangen, auch in der Buchform. Und das gleiche gilt für die sie bevölkernden Gespenster, wie eine der Figuren weiss: „Die Menschen sind mir ein Rätsel, weisst du. Absolut unergründlich.“ (S. 156) Das Amerikabild wird auch am Ende des Buches noch einmal thematisiert: „(…) in der Geschichte Amerikas geht“s nur um die ständig vorrückende Grenze. Bis wir am Schluss das Ende des Kontinents erreicht haben. Dann bleibt nichts mehr übrig, und der Wurm fängt an, seinen eigenen Schwanz zu fressen.“ (S. 157) Das Leben sucht man sich nicht aus, es wird einem nicht aufgedrängt, vielleicht sickert es ständig von unten nach. (Vgl. S. 157) Die Menschen ändern sich nicht, sie passen sich an, schlagen sich durch. (Vgl. S. 158)
Gut und überraschend, wie ein Schuss aus dem Revolver, das gefühlig-harte Ende.
Die Erzählweise führt zu dem Eindruck, man hätte ein deutlich dickeres Buch gelesen und man könnte, auch um Unklares zu beseitigen, sofort von vorne wieder anfangen. Und wie geht es los? In medias res und knüppelhart: Klasse!
Merkwürdig, dieser Krimi, dem als Motto ein Gedicht von Robert Creeley voransteht und der auf seinem Weg einiges an Kultur zitiert, die sicher keine der Underdogs ist und bei dem die Handlung im Grunde Nebensache geworden ist.
Wer sind hier die Helden – die apokalyptischen Reiter in ihren Ford F-150s oder frisierten Datsuns, das lustvolle Erzählen von einer miesen Welt, die Sprache selbst?
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