Georg Stefan Troller: „Paris geheim. Die unbekanntesten, aufregendsten und verlockendsten Orte und Adressen von Paris“, März 2008, 300 S., broschiert, 19,90 Euro
Lesung mit Georg Stefan Troller in Marburg:
Gestern, am 17.03.2008 las Georg Stefan Troller zum ersten Mal in Marburg, er stellte sein vor wenigen Tagen erschienenes Buch „Paris, geheim“ vor, las aber auch aus zwei anderen, älteren Büchern.
Troller, dem man seine 86 Jahre nicht anmerkte – er ist im Jahr 1921 in Wien geboren -, gestaltete einen anregenden Abend und antwortete auch auf die anschliessend vom Publikum gestellten Fragen ausführlich, persönlich, mit Humor und auf sympathische Weise. Er scheute sich auch nicht, um eine Einschätzung des derzeitigen französischen Staatspräsidenten gebeten, offen zu antworten und Stellung zu beziehen.
Auf Nachfrage erzählte er in Kürze die wichtigsten äusseren Stationen seiner Biographie. Im Jahr 1938 emigrierte er über Frankreich und Uruguay in die USA. Als amerikanischer Soldat kehrte er nach Europa zurück. Seine Aufgabe bestand darin, deutsche Gefangene zu interviewen, um ihnen möglichst alles Wissenswerte über Truppenstärken etc. zu entlocken, „mit Schlauheit“, wie er sagte, nicht, wie heute, mit der „Tortur“. Er selbst meint, dass dies die Grundlage für seine spätere Art, Interviews zu führen, bildete. Ein interessanter Hinweis. Hinzu kommt, wie er es etwa schon in seinem Buch „Personenbeschreibung“ geschrieben hat, dass er seinen Interviewpartnern deswegen so insistierende, bohrende, besondere und ans Existentielle, an den Kern gehende Fragen stellen konnte und stellte, weil er selbst auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen war. So ging es also stets um mehr als nur um ein konventionelles Interview – und das teilte sich dem Publikum mit und erklärt auch zu einem Teil den Erfolg seiner Rundfunkbeiträge, die er nach dem Krieg für deutsche Sender aufnahm oder den dann folgenden Fernsehsendungen „Pariser Journal“ oder „Personenbeschreibung“, die über 20 Jahre ausgestrahlt wurde und seinerzeit bereits auch den Autor beeindruckt hat.
Doch Troller schrieb nicht nur Drehbücher und arbeitete nicht nur als Regisseur, vor allem von Dokumentarfilmen, sondern schrieb eine ganze Anzahl Bücher, allein in den vergangenen drei Jahren drei an der Zahl. Sein letztes, mit dem Titel „Paris, geheim“, führt in 20 Spaziergängen durch die 20 Pariser Arrondissements und stellt etwa 400 Orte in der Stadt vor, die abseits ausgetretener Touristenpfade liegen, er erzählt Geschichten, Hintergründe und Anekdoten.
Über die Stadt Paris schreibt Georg Stefan Troller schon seit Jahrzehnten. Das „Pariser Journal“ erschien 1966, es gibt ein Merian-Buch „Paris“ von ihm aus dem Jahr 2000, „Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris“ erschien 2003, es gibt eine DVD „Tage und Nächte in Paris“ etc. Über Paris, das stellte schon Walter Benjamin fest, schrieben nie die Pariser, sondern stets die Zugereisten, denen die Stadt etwas Besonderes war oder gab. Natürlich haben solche publizierten Geheimtipps das Problem, dass sie alsbald keine mehr sind, wenn genügend Leute sich das Buch kaufen und mit ihm unter dem Arm durch Paris flanieren – das prinzipielle Dilemma jedes Tourismus, dass er die Orte des Begehrens verschlingt.
Nach seiner Zeit beim amerikanischen Militär studierte er in Kalifornien, eine Zeit, die ihm gefallen habe, ob er da allerdings viel gelernt habe, wisse er nicht. Doch es zog ihn – gegen das Unverständnis seiner Freunde – ins zerstörte Europa zurück.
Seit 1949 lebt Troller in Paris, heute im 7. Arrondissement und geht von dort aus seiner Arbeit nach. Viele Preise hat er bekommen, darunter allein fünf Mal den Adolf-Grimme Preis.
Doch ist er unermüdlich – nach den letzten Jahren des Bücherschreibens möchte er sich nun wieder dem Filmemachen zuwenden.
Vielleicht wird es noch weitere Interviews geben, die, wie er selbst sagte, für sein Gegenüber, zu dem Vertrauen aufzubauen ist und sich manchmal im Nachhinein sogar eine Freundschaft entwickelt habe, etwas von einer Psychoanalyse oder auch einer Beichte haben könne.
Ein hochinteressanter alter Mann, der gern scharfe Fragen stellt, den Konflikt nicht scheut, der Gott und die Welt kennt respektive kannte und dessen Vortrag, gehalten mit sonorer Stimme und seiner unverwechselbaren Diktion, wenn man ihn einmal gehört hat, einen seine Bücher automatisch in diesem Ton lesen lässt: Präzise, immer anschaulich, wie zum Sprechen oder Vorlesen geschrieben, immer wieder mit Überraschendem, Unvorhergesehenem oder auch Sentenzen durchsetzt.
Nach der Lesung traf man sich noch in kleinerem Kreis in einem Marburger Lokal, wo er sich als sehr lebendiger, bescheidener Erzähler und Zuhörer zeigte, sich als Liebhaber von roten Alfa Romeos outete und nur bei der Frage nach einer eventuellen Rückkehr nach Wien einmal sehr ernst, fast düster wurde. In Österreich hätten seine Arbeiten nie Erfolg gehabt, er würde sich dort „ungern anmachen“ lassen und seine drei Kinder sprächen französisch und hätten keinen Bezug zu Wien.
Man darf mit Recht gespannt sein, was als Nächstes von ihm zu lesen oder zu sehen sein wird und ihm noch möglichst viele gesunde und produktive Jahre wünschen.
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