Carlos Eugenio López: „Bordell der Toten. Erzählungen“

Carlos Eugenio López: „Bordell der Toten. Erzählungen“, aus dem Spanischen von Susanna Mende, (die Originalausgabe erschien 2001 in Madrid unter dem Titel „Burdel de muertos“), Zürich 2007, 206 S., 18,90 Euro

Sieben Erzählungen des Autors von „Abgesoffen“ sind hier versammelt.
Abermals zeigt López die Hölle als eine Innenwelt, gemischt aus Dummheit, Platituden, Selbstgerechtigkeit, Selbstbetrug, Selbstmitleid, Scheinheiligkeit und Gleichgültigkeit anderen gegenüber. López hält dem Leser den Spiegel vor. Seine Texte sind Fallen, in die der Leser tappt – dann nämlich, wenn er die üble Denke dieser Figuren auch in sich und an anderen wieder erkennt.
Da schreibt ein Aufklärer, ein Moralist – und als solcher schreibt er wohl auf ein Ziel hin, das aber kann ein Problem dieser Erzählungen sein. Hat man verstanden worauf es ankommt oder worauf es hinausläuft, lässt die Spannung nach, liest man anders, nimmt einen der Text nicht mehr so mit. Dennoch: Was der Autor macht, macht er gut, fast durchtrieben. Er versteht es, mit Tönen zu spielen – etwa wenn er mit der Stimme eines Schweins oder eines kleinen Mädchens spricht. Dennoch besteht durch die Absicht, durch die Idee, auf die hin erzählt wird, eine Gefahr – und man darf gespannt sein zu sehen, wie López zukünftig damit umgehen wird.
Gern liest man das was er schreibt nicht immer. Er decouvriert den Horror des modernen Normalbewusstseins, ja führt ihn durch die Lektüre nach innen und mobilisiert so – hoffentlich – natürliche Widerstände im Leser. Was seine Figuren da so von sich geben bzw. bei sich denken, das kann einen zuweilen schon bei der Lektüre aggressiv machen. Es macht also nur bedingt Spass, diese selbstgefälligen, mit wohlfeilen Weisheiten durchsetzten und schon mal vor unangebrachtem Selbstmitleid triefenden, bigotten Sätze zu lesen. Es macht mehr wach als Spass. Man wird zum aufmerksamen und kritischen Lesen gezwungen.
Diese fatalen inneren Monologe aus dem Elend des Sich-Im-Kreis-Drehens, die sich selbst bestätigen und haltlos in einem sind, das mag hinter López Schreiben stehen, können unmöglich von einem „Homo sapiens sapiens“ stammen; immerhin hat sich diese Gattung auch selbst so benannt. Von Weisheit sind diese Figuren Lichtjahre entfernt. Sie sind entsetzlich vor Beschränktheit und ihrem von blinden Flecken dominierten Blick.


Die Titelgeschichte würde mit einem anderen Titel stärker wirken. Mit diesem ist ihr doch ein gut Teil der Überraschung und Spannung genommen.
In ihr treibt der Autor ein eigentlich absurdes Spiel auf die Höhe. Er zeigt die Logik und den Zwang zur Ökonomisierung in aberwitziger Weise und bringt ihn so zur Kenntlichkeit. Dort wird eine Frage gestellt: „Wird meine Menschlichkeit mehr in Frage gestellt durch die Beteiligung an wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen der geschlechtlichen Nutzung eines Leichnams oder durch die Förderung von Armut, Verwüstung und Schrecken?“ (S. 196)
In diesem finsteren Text geht es darum, Spanien durch die Nutzung der Leichen des täglichen Strassenverkehrs wirtschaftlich wieder auf Vordermann zu bringen, indem man sie den Nekrophilen anbietet. Die gleiche Marktlogik wie überall kommt hier zum Tragen: Wenn wir“s nicht tun, tun“s die Deutschen oder die Japaner… Rechtfertigung für – fast? – alles.
Dieser Text lässt einen an Goebbels denken. Die Umwertung der Werte wird vorgeführt und wie das Ungeheuerliche durch scheinrationale Argumentation zum selbstverständlich Gebotenen verdreht werden kann. Und er zeigt gleichzeitig, wie leicht das geht, ein paar Prämissen, an ein paar Ängste appelliert, ein paar Allgemeinplätze darübergestreut – „Tradition ist keine Zwangsjacke“ (S. 197) – schon ist die Demagogensuppe geköchelt und man könnte ihr auf den Leim gehen. Ganz schnell ist dann industrielle Leichenschänderei als etwas Ehrenvolles zu verkaufen. (Vgl. S. 201) Er zeigt, dass eben diese Logik des Verkaufenwollens oder -müssens um jeden Preis an sich von Übel ist.

Bild von morguefile.com: fuji mo

Poor 1 Wohl leider auch immer von neuem aktuell klingt folgende Stelle:
„Mit Panzern auf unseren Strassen aufzufahren, würde, egal wie wirkungsvoll es auf den ersten Blick erscheinen mag, von den Führern der westlichen Nationen als ein neuer Beweis der Unterentwicklung und Nähe zur Dritten Welt angesehen werden. Im Arsenal der fortschrittlichsten Nationen ist das Bajonett schon vor langer Zeit von der Gehirnwäsche und der Manipulation durch Wohlstand abgelöst worden. Wer das nicht begreift, wird am Tisch der Mächtigen weder Platz nehmen noch gemeinsam mit ihnen das Schicksal der Welt bestimmen.“ (S. 189) Letzteres allerdings tritt gerade China an, zu widerlegen. Es gibt eben nicht nur Fortschritt. Auf bestimmten Gebieten überhaupt sehr wenig, und Rückschritt ist auch möglich. Und die Argumentationen der chinesischen Führung, die man so kolportiert, könnten durchaus von Lópezschen Figuren stammen. Absolut skandalös, dass ein Land, das ein anderes überfallen hat und kulturell vergewaltigt, das tötet und foltert, sich auf „innere Angelegenheiten“ beruft. Absurd, dass man Rücksicht nimmt auf diese Chinesen, denen es so schrecklich ist, das Gesicht zu verlieren. – Und warum? Doch wohl nur, weil die Olympischen Spiele ein Milliardengeschäft sind und es in Tibet keine Ölquellen gibt: Armselig.
Am Ende des Textes überdreht er, aber sicher ganz bewusst, das Ganze noch, indem er zeigt, wie eine Idee, wenn man sie erst einmal zulässt, korrumpieren kann, wenn er seinen Nekrophilie-Befürworter für die Herabsetzung der Geschwindigkeitsbegrenzungen etc. argumentieren lässt.

Mutig, aber gut gemacht die Geschichte, in der ein Schwein von der Überlegenheit über den Menschen erzählt und darin schwelgt und sich damit beruhigt und es für undenkbar hält, dass die Artgenossen, die aus dem zu engen Stall geholt werden, getötet werden, obwohl es diese Gerüchte durchaus gibt. Nein, es nimmt doch lieber an, dass die dicksten abgeholt werden, damit die Zurückbleibenden wieder mehr Platz haben. – López spielt mit Logiken, mit Denkmöglichkeiten und weist auf ihre Konsequenzen hin. Das Schwein wird an seinem eigenen Dünkel sterben.
Grotesk auch die erste Geschichte, die den guten Titel „Familienbande“ trägt. In ihr wird ein 84 Jahre alter Mann, der Vater bzw. Grossvater, sprachlos geworden, der nur noch sterben will und um seinen Tod bettelt, würdelos an ein Bett gefesselt, weil die Familie seine Rente braucht – oder meint zu brauchen. „Hätte Vater nicht diesen Fimmel mit dem Messer, wäre alles halb so schlimm. Den Rest kann ich ertragen. Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass die Dinge nun einmal so sind, wie sie sind, und irgendwie habe ich mich damit abgefunden. Aber die Sache mit dem Messer macht mich fertig. Dauernd muss ich Angst haben. Egal, wie es mir geht, immer muss ich an das Messer denken. Denn wenn Vater stirbt, bricht die Familie auseinander. Wenn Luis Enrique nicht mehr jeden Abend ausgehen kann, bringt er es fertig und geht als Kellner nach Ibiza.“ (S. 34)
Ekelhaft, dieses Selbstmitleid und diese Blindheit, der Grausamkeit und Unmenschlichkeit anderen gegenüber, auch das erinnert fatal an die chinesische Haltung zur Zeit. Wenn dann noch dieses bigotte Beten und gar die direkte Anrede der heiligen Jungfrau im Schlusssatz draufgesetzt wird, kann man es kaum noch stärker machen.
Wenig zukunftsfröhlich sind diese Figuren und Texte. Finster ihre Aussage, auch die der vierten Erzählung, in der es heisst: „So ist das Leben, eine Scheisse eben. Und je länger es dauert, umso mehr Scheisse passiert. Und je mehr Scheisse passiert, umso mehr Ekel empfindet man. Das ist das Schlimmste am Altwerden; alles ist irgendwie verrottet. Bei all den miesen Sachen, die man mitbekommt, wird man selbst irgendwann ein mieser Typ, und das, was man mit zwanzig für eine Riesensauerei gehalten hat, ist mit siebzig das täglich Brot.“ (S. 112)
Harte Worte, harte Ansichten.
„Irgendwie denkt man, dass man entweder alles falsch gemacht hat oder mit der Welt etwas nicht stimmt.“ (S. 92)

Ein wenig ärgerlich und mit etwas Sorgfalt vermeidbar die Druckfehler wie auf S. 116: „Matzratze“ oder S. 91: „Sie so ist lange…“.


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Kommentare

6 Antworten zu „Carlos Eugenio López: „Bordell der Toten. Erzählungen““

  1. Avatar von uwe
    uwe

    Alltagsgeschichten mit makabren Einschüben, subtil abgründige Texte, vorgetragen von schrägen Charakteren, die einem doch so normal und vertraut vorkommen. Aus zunächst banal erscheinenden Alltagsnöten entstehen tragikomische Begebenheiten, die in Visionen abschreckender Inhumanität münden. Es sind rabenschwarze Satiren, und darin liegt ihre Stärke und Wirkungsmacht: Normalsterbliche, die plötzlich zu reden beginnen und dabei ihre Denk- und Lebensbilder in erschreckender Deutlichkeit enthüllen – Monologe, so als ob sich bei den Redenden ein Ventil öffne, und zugleich Monologe als Mittel der Selbstentlarvung vom mitleidlosen Autor eingesetzt.
    Wie er das macht, ist genial, aber eben auch eintönig: Es sind zwar präzise zu unterscheidende Stimmen mit ihrem je eigenen Vokabular, doch die Struktur ihrer Rede, die Mischung aus Weisheit und Platitüde, aus philosophischen Denkansätzen und Plattheiten, aus rassistischen und liberalen Gedanken, ist ähnlich oder vergleichbar aufgebaut (du hattest darauf verwiesen). Immer geht es mittels der Monolge, die Rechtfertigungs- und Selbstbestätigungs- wie auch Selbstentlarvungsreden in einem sind, immer geht es um den Horror mitten unter uns und mitten in uns. Mit Lakonie wird noch das Haarsträubendste erzählt, das Harmlose geht unvermittelt ins Groteske und Ungeheuerliche, ja Undenkbare über. Bei aller Varianz der Protagonisten und ihres immer originellen Denk- und Sprachstils bleibt die satirisch-enthüllende Absicht die gleiche, was die Lektüre nach einigen Texten etwas ermüdet. Die Spannung läߟt nach, die formale Machart ist durchschaut und darüber hinaus finden sich keine anderen erzählerischen Kniffe, die die Aufmerksamkeit erneut fesseln könnten.
    Unabhängig davon ist das, was Lopß©z mit seinen Mitteln schafft, grandios: Er läߟt den Leser in Abgründe blicken, die zugleich absurd und alltäglich, abwegig und allzu vertraut daherkommen, und er gibt ihm zu verstehen, dass es daraus kein Entkommen gibt – wir bewegen uns alle auf dünnem Eis und es droht uns allen der Fall in die ungemütliche, barbarische Tiefe. Und das habe ich in dieser formalen Strenge und moralischen Stringenz so noch nicht bei einem anderen Autor gelesen. Gespannt bin ich allerdings, ob er noch anderes drauf hat, etwas, das jenseits dieser negativen Utopie seiner Monolog-Monster liegt.

  2. Avatar von Helmut
    Helmut

    Wenn ich es richtig sehe, haben wir einen sehr ähnlichen Eindruck:
    Das Buch hat enorme Qualitäten, ist aber vielleicht nicht im Ganzen überzeugend oder befriedigend.
    Ich hatte überlegt aus welchem Grund. Es kann sein, dass der Leseeindruck bei dem was er vorhat zwiespältig bleiben muss.
    Das sind natürlich keine Geschichten, die den Leser hineinziehen und in denen er sich vergessen kann.
    Im Gegenteil.
    Er macht den Leser aufmerksamer, dieser muss auf der Hut sein – schon aus Selbstschutz; um den geschilderten Figuren nicht zu ähnlich zu erscheinen.
    Wir sind uns einig: Für diese Absicht sind seine Sachen toll geschrieben, das ist eine eigene Stimme, die man sonst so nicht kennt. Und gerade das schleichende Hinneinnehmen das noch Normalen und Alltäglichen ins Grausame und dadurch das Zeigen, dass vom einen zum anderen unter Umständen nur ein ganz kleiner Schritt besteht, das ist einfach gut gemacht und sicher wichtig.
    Wenn Du kritisierst, dass die Struktur der Figurenrede sich in den einzelnen Erzählungen gleicht, dann kann man sagen ja – aber nimmt Lopez hier nicht genau die Struktur des gegenwärtigen Sprechens und vor allem auch Denkens auf? Gut, er mag es noch etwas miunitionieren und ins Ganz Absurde und ߜble drehen. Aber im Grunde gibt er damit ein Porträt des halt- und orientierungslos schwätzenden Zeitgeistes. – Das zu erfassen und in präzise Satire umzumünzen ist keine kleine Leistung.
    Wenn der Leseeindruck nicht voll zufriedenstellt, muss man sich vielleicht auch fragen, ob es mehr daran liegt, dass die dargebotene Wahrheit vielleicht eine ist, die wenig schmeckt – oder ob es andere Gründe hat.
    Denn, das schreibst Du ja richtig, es geht um den Horror in uns, ganz nah. Um den unbewussten, verdrängten oder wegerklärten Horror.
    So könnte man, Formulierungen aufnehmend, der Sache den Titel geben: Monologmonster auf dünnem Eis.
    Von einer negativen Utopie würde ich hier allerdings nicht reden. Wenn man etwa an das chinesische Verhalten in Zusammenhang mit Tibet und Olympia denkt, dann ist das, was der Autor beschreibt, längst alltägliche Wirklichkeit. Beleidigter Zynismus, wo ganz anderes angebracht wäre.

  3. Avatar von uwe
    uwe

    Ja, da hast du wohl recht: Jede noch so absurd oder grotesk anmutende Erfindung kann von der Wirklichkeit eingeholt oder gar übertroffen werden. Das, was uns Lß³pez zu lesen aufgibt, ist ja aus der Mitte des Lebens genommen, in eine monologisierende Rede gebracht und literarisch auf eine Grundaussage hin zugespitzt. Insofern kann es letztlich nicht verwundern, Anteile des in seinen Figuren untergründig tätigen Wahnsinns in der Wirklichkeit wiederzuerkennen, etwa in den tages- und weltpolitischen Nachrichten.
    Richtig ist auch, dass seine Texte nicht amüsant zu lesen sind. Immer muss man auf der Hut sein: Mit jedem Wiedererkennen ist man schon in die Falle gegangen – das hast du klar und deutlich beschrieben. Meine Kritik richtete sich eher auf die Einseitigkeit der Mittel. Auch da kann man zu seinen Gunsten einwenden: Die Sprecher entlarven sich in ihrer Rede selbst und zeigen zudem, wie es für sie unmöglich ist, ihr Gedankenkreiseln zu verlassen. Sie schmoren ja im eigenen Fett und bieten dem Leser das grausige Spektakel der Selbstentblöߟung: Eine mehr oder weniger genau bestimmbare Angst treibt sie zum Reden, doch dieses Reden gewährt ihnen weder Erkenntisse noch Halt, allenfalls Rechtfertigungen dafür, den beschrittenen Weg fortzuführen. Das ist gut und präzise beschrieben, und verweist sicherlich auf Struktur und Inhalt zeitgeistigen Geschwafels. Mich hat es halt ein wenig ermüdet, NUR solche Monologe zu lesen – und nicht, weil sie mir zu nahe sind, sondern weil sie mir nicht näher rücken, je öfter ich von ihnen lese. Daher rührte mein Einwand: von der Wiederholung von Mustern, von Mustern des Denkens und des Schreibens. Mich würde interessieren, wie er seine moralisch-satirischen, ja letztlich aufklärerischen Absichten mit anderen literarischen Mitteln umsetzen könnte. Wenn ich mich nicht täusche, war das auch eine rage, die dich beschäftigt hat. Welche Gründe lagen denn bei dir für den nicht ganz befriedigenden Leseeindruck vor?

  4. Avatar von Helmut
    Helmut

    Treibt sie wirklich Angst zum Reden?
    Oder doch ein untergründig vorhandenes schlechtes Gewissen?
    Oder, noch interessanter oder brisanter: Decken sie mit dem Reden etwas zu? Verschleiern sie gerade durch das Reden Klarheit und Erkenntnis? Beruhigen sich selbst, geben sich die passenden Stichworte und rücken sich ins rechte Licht, in das nämlich, das ihnen am ehesten zupaߟ kommt?
    Den Gründen für einen nicht ganz befriedigenden Leseeindruck bei mir habe ich bereits in der Besprechung Ausdruck zu geben versucht, da kann ich im Augenblick nicht mehr dazu sagen.

  5. Avatar von uwe
    uwe

    Das mit der Angst ist mir schon bei der Erstleküre aufgefallen und ich hatte mir gleich die Mühe gemacht, die Stellen, an denen das Wort fällt, anzustreichen.
    In allen Erzählmonologen wird von Angst oder ߄ngsten gesprochen, die zum Kernbestand der Existenz der Redenden zu zählen sind und die mit dafür verantwortlich zu machen sind, dass sie zu Reden anfangen, ob nun als Camouflage ihrer wahren Absichten oder als Selbstrechtfertigung ihres Tuns sei zunächst dahingestellt.
    Im ersten Text wird von der Angst gehandelt, dass sich der Vater umbringt und damit die Familie zusammenbricht, dem Horror schlechthin für die sprechende Katholikin (34). Für den Strichjungen im zweiten Monolog bedeutet Angst das „Allerschlimmste, schlimmer noch als Grübeln“, es ist die Angst davor, wie und ob es mit seinem Leben weitergehen wird(55). Im dritten Text, reflektiert das Schwein über die ߄ngste, die natürlicherweise zu seiner Existenz gehören, aber durch die kritische Rationalität überwunden werden müssten, eine Strategie, die fehlgehen wird, wie das Ende klarstellt (68). Im vierten Monolog, dem des wartenden Händlers, wird das „Grundrecht des Bürgers, überall hingehen zu können, ohne Angst zu haben, aufgeschlitzt zu werden“ (100) gefordert. Dass dies nicht mehr gewährleistet ist, läߟt ihn ja zur Waffe greifen und über die Berechtigung dieser Selbstverteidigungsmassnahme reflektieren. Die fünfte Erzählstimme spricht klar aus, dass sie Angst habe, die „Dinge nicht mehr unter Kontrolle“ (156) halten zu können, und aus dieser Angst heraus, entscheidet sie sich zu der für das Kind fatalen Tat. Im sechsten Monolog hat ein Kind „Angst vor Sachen, vor denen man keine haben müsste“, spricht also über die Schwierigkeit, groߟ zu werden oder zu sein (162, 176-177). Im letzten Text, dem Monolog des Politikers, wird an einer Stelle ausgesprochen, dass es die „Ketten der Angst“ sind, die uns „fesseln“ (180).
    Soweit die Belegstellen, die mir aufgefallen sind. Deshalb lag es für mich nahe, einen Beweggrund ihres Monologisierens in den unterschiedlich qualifizierten ߄ngsten zu sehen. Das schliesst andere nicht aus, auch das schlechte Gewissen nicht. Und bei ߄ngsten, uneingestandenen wie bekannten, kann Reden,lautes Sprechen oder das fiktive Sich-Wenden an einen anderen, durchaus Beruhigung verschaffen, für den Moment. Freilich bleiben die ߄ngste davon letztlich unangetastet, wie bei den Protagonisten der Monologe auch: Sie kommen ja nicht raus aus ihren circuli, beruhigen und verunsichern sich zugleich mit ihrem Räsonnement. So weit meine ad hoc vorgenommene Analyse.

  6. Avatar von Helmut
    Helmut

    Gut, so wünscht man sich das, prima. Sie haben Angst, sie ist ein Antrieb für dieses redende Pfeifen im Dunkeln. Trotzdem könnte es sein, dass Lopez es so schreibt oder so gelesen haben will, dass dieses Reden das Gegenteil von Aufklärung ist. – Mir scheint das so. Und das ist freilich die bösest mögliche Variante. – Wenn man die Sprache als wesentlichen Teil des Humanums ansieht, dann öffnet sich hier ein denkbar schwarzes Bild des „Homo sapiens sapiens“.

    Man könnte sich aber auch diese ߄ngste und ihre Berechtigungsgründe genauer ansehen. – Verhält es sich mit ihnen evtl. ähnlich [und könnte das ein Grund sein, weshalb sie mir nicht so in den Vordergrund rückten?]? Sind diese ߄ngst nur vorgeschoben? Sind sie berechtigt? Realistisch? Oder nur vorgeschobener Grund für die eigenen Ungeheuerlichkeiten?

    In jedem Fall nimmt Lopez aber ein zentrales Thema vermutlich nicht nur unserer Zeit auf mit der Angst. – Ist es wie bei Hunden, bei Angstbeiߟern? Aus lauter Angst wird man selbst unnötig zum Aggressor – und fühlt sich, da man sich innerlich als Opfer gebucht hat, auch noch auf der richtigen, berechtigten Seite?

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