Ignacio Aldecoa: „Gran Sol“, übersetzt von Willi Zurbrüggen, die spanische Originalausgabe erschien unter gleichem Titel 1957 in Barcelona, die vorliegende Ausgabe 2007 in Hamburg, 299 Seiten, zur Zeit leider schon wieder vergriffen und nur noch antiquarisch zu haben
Es ist das grosse Verdienst des Mare Buchverlags, diesen Roman fünfzig Jahre nach seinem Entstehen erstmals (!) ins Deutsche gebracht zu haben.
13 baskische Seeleute fahren trotz schlechten Wetters auf Fischfang vor der irischen Westküste, die für ihr extremes Wetter und ihren enormen Seegang bekannt und berüchtigt ist. Sie tun es nicht aus Abenteuerlust, sondern weil es nun einmal ihre Arbeit ist.
Auf dem Schiff dreht sich alles um Hierarchie, um die Beziehungen der Männer untereinander, die Art ihres Umgangs, dokumentiert in zahlreichen Dialogen, aber immer auch und nicht zuletzt um die Arbeit und das Geld. Denn der Verdienst ist gering, der Ausgang der Fahrt stets ungewiss und das Meer weitaus mehr Zwang und Not als Passion. Zwar wird das Zur-See-Fahren als etwas Schicksalhaftes gezeigt, aber nicht aufgrund innerer Besessenheiten, sondern aufgrund äusserer, sozialer Umstände.
Das Buch wirkt (neo)realistisch, wie der Klappentext ausweist, lagen Aldecoa (1925-1969) die Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben, in seiner schriftstellerischen Arbeit besonders am Herzen.
Das Buch wirkt nüchtern, trotz poetisch-sinnlicher Wetter- und Lichtbeschreibungen.
Hier einige Beispiele von vielen:
„Durch die Bullaugen und die Backbordluke fielen runde und quadratische Strahlenbündel, zerschellten an den Gegenständen. Das Aluminiumrohr vom Auspuff des Motors glänzte. Der Motor schimmerte metallisch und ölig. Auf den Laufstegen, den Handläufen und den Bodenblechen schien sich ein Firnis abgesetzt zu haben, der den Schmutz in Licht verwandelte.“ (S. 223)
Die Eingangssätze des Romans lauten:
„Der träge, warme, schwere Südost wühlte das Wasser des Hafenbeckens auf. Weit draussen glitzerte gelb das offene Meer. Am Abendhimmel ballten sich die Wolken wie ein Muschelhaufen in Schwarzblau und Perlmutt. Die Möwen flogen kreischend über den Hafen, kratzten an den Wellen.“ (S. 15)
„Die Flut stieg. Die Lichter des Hafens spiegelten sich in den Pfützen, im pechschwarzen Meer, auf den nassen Decks der Schiffe. Die Hafenlichter spiegelten sich auch in den Augen von Macario Martin, der auf dem Achterdeck der Aril an der Reling lehnte.“ (S. 158)
Man kann diesen Roman recht gut lesen, aber während des Lesens entwickelt er meist nur wenig Thrill. Erst in der Nachwirkung breitet er sich aus, wird reicher und intensiver. Der Leser darf mit an Bord und vor allem die plastischeren Figuren, etwa Macario Martin, der alte Trinker und Maulheld oder der Kapitän selbst, dem das Meer und sein Beruf wenig Freude bringen, begleiten einen auch nach dem Beenden des Lesens durch den Tag.
So scheint etwas zu Ende erzählt zu werden, das aber ohne jede Larmoyanz, wie es scheint ohne wirkliche Traurigkeit; diesem Werk liegt ein Lesezeichen mit der Aufschrift „So ist es halt“ oder ähnlich bei.
Und wer fährt auf so einem Trawler in den Fünfzigern?
Ganz verschiedene, ganz normale Kerle, mit allzu alltäglichen Problemen. Aber freilich welche, die im Augenblick von Gefahr, Not oder Tod menschliche Grösse zeigen – so es die harten Umstände eben zulassen. Denn auch im Bereich des Todes spricht das alles grundierende ökonomische Prinzip machtvoll mit.
Die Arbeit auf dem Meer – der Kapitän mag das Meer nicht, eher hasst er es: „Unglück (…) bedeutet, ein Leben lang auf See zu sein“ (S. 144) – gibt den Verdienst, es ist für die Seeleute das notwendige Übel, um im Kampf ums Überleben nicht auf der Strecke zu bleiben. Einer der Fischer sagt: „Wenn es an Land anders aussähe, wäre ich längst runter vom Schiff.“ (S. 99) Hier wird nicht an Mythen gestrickt, hier ist man von Melville, Conrad und Hemingway, hier ist man von Seefahrerromantik, wie Kersten Knipp in ihrer Besprechung in der NZZ richtig feststellt, weit entfernt.
Dieses Meer bei Sturm und schwerer See ist kein Ort für Heldentaten oder mythische Figuren und Geschichten, sondern es ist schlicht der gnadenlose Ort, an dem man auf härteste Art seine Brötchen verdienen muss. Dieses Meer ist von den Überhöhungen etwa eines Melvilleschen Ahab um Seemeilen entfernt. Zwar wird auch bei Aldecoa gestorben, aber wie banal, wie schmutzig, wie geschäftsmännisch und von der Not diktiert, ohne überzogenes Pathos. Sicher, mit dem in den Todesstunden gereichten Essiglappen darf man Jesus-Assoziationen haben, aber diese sind doch sehr vermittelt, man muss sie nicht haben.
Nicht immer ist leicht nachzuvollziehen, was gerade passiert. Das kann daher rühren, dass Landratten das Schiffsvokabular und die Örtlichkeit eines Trawlers nicht gut bekannt sind.
Auffällig jedoch, wie wenig von Gerüchen die Rede ist – denn auf einem Schiffsdeck, das von Fischen der verschiedensten Art, die an Ort und Stelle mit scharfen Messern verarbeitet werden, nur so wimmelt, dürfte ein mehr als strenges Arom herrschen.
Trotz der Kargheit des Geschilderten ist die Sprache Aldecoas, vor allem in den Wetterbeschreibungen, die zudem häufig die Kapitel einleiten, eine poetische. Und natürlich sind auch die teils trivialen Männer-Dialoge, auch wenn oder gerade weil man es ihnen nicht anmerkt, künstlerisch geformte Sprache. Selten, aber schön sind Formulierungen wie „Er zog an der Schnur der Erinnerungen…“ (S. 212) oder „Simon Orozco strichelte im Wasser seiner Erinnerungen.“ (S. 91), „Die Schaufel verursachte ein langes säuerliches Geräusch“ (S. 98) und, besonders hübsch und originell, „Die Regentröpfchen auf der Herdplatte verursachten ein gläsern brummfliegendes Zischgeräusch“ (S. 114), die aber zumindest zum Teil auch dem Übersetzer Willi Zurbrüggen geschuldet sind, der im Nachwort auf die besondere Schwierigkeit, dieses Buch ins Deutsche zu übertragen, hinweist und die Mühe, die er damit hatte. Ihm wurde in den Besprechungen der grossen Zeitungen denn auch viel Lob zuteil; er hat für seine Übersetzungen bereits drei Preise erhalten. Aldecoa bekam für „Gran Sol“ 1958 den spanischen Kritikerpreis. Unverständlich, dass fünfzig Jahre ins Land gehen mussten, bis das Buch ins Deutsche übersetzt wurde, aber schön, dass es doch noch geschah.
Trotzdem wirkt das Buch meist auch etwas hölzern und ungelenk. Merkwürdig, die Diskrepanz zwischen dem Leseeindruck und seinem reicheren Nachhall. Es mag unpassend sein, doch fällt einem beim Lesen hie und da die Formel des „sozialistischen Realismus“ ein und drängt sich auf, ohne dass man sie mit dem Buch ernsthaft in Zusammenhang bringen wollte.
Auch schreibt der Autor in verschiedenen Dichte-Revieren. So fallen manche Passagen auf, wenn nicht heraus, etwa die Szene als der Kapitän Orozco alleine im irischen Bantry den Friedhof besucht und Zwiesprache mit den Toten hält oder die Jugendschilderung im extremen Zeitraffer, die es auf Seite 212 f. zu lesen gibt.
Immer kühl schildert der Erzähler was es zu wissen gibt und er spart auch sinnlos-besessene Grausamkeit Vögeln oder Haien gegenüber nicht aus (vgl. etwa S. 131). Hier geht es nicht um Sympathiewerbung, vielmehr ist an“s Lesezeichen des „So ist es“ zu erinnern. Der allgegenwärtige und allwissende Erzähler beschreibt, hält fest, doch hat man den Eindruck, auch von dem her was die Männer an Bord diskutieren, dass es sich um ein spätes Dokumentieren handelt, dass hier etwas im Begriff seines zu Ende Gehens literarisch eingefroren wird. Ob es sich dabei um „Nachkriegsnüchternheit“ handelt, wie Tobias Lehmkuhl in der Süddeutschen Zeitung meinte? Es kann auch der Versuch gewesen sein, die Sprache durch Kargheit und Nüchternheit dem faschistischen Pathos zu entringen und eine neue, andere Sprache zu etablieren.
Jedenfalls ist diese neorealistische Sprödigkeit ein Programm gegen emotionale oder ideologische Aufladungen, die See und die die sie befahren stehen, auch wenn Blick und Sprache Poetisches kennen, im Alltagslicht, Geheimnisse fallen aus, was diese vielleicht programmatische Stelle deutlich macht:
„Der Blick aufs Meer ist wie ein Blick in den Spiegel, ohne mehr zu sehen als den Spiegel.“ (S. 78)
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