Miljenko Jergovic: „Buick Rivera“

Miljenko Jergovic: „Buick Rivera“, aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert, Frankfurt am Main 2006, 248 S., Taschenbuch 8,95 Euro, die gebundene Ausgabe gibt es zurzeit sogar noch günstiger, ursprünglich war sie für 19,90.- zu haben

Ein Roman, der ein Auto im Titel führt, einen amerikanischen Strassenkreuzer, ein Mammut vergangener Zeiten, Baujahr 1963, als man sich um Benzin- und Ölpreise, zumal in den USA, noch wenig Sorgen machte. – Doch steht das titelgebende Auto nur bedingt im Vordergrund, eigentlich geht es um die uralte Mann- Frau-Geschichte. Das Buch handelt auch von Heimat und dem Verlust der Heimat oder der Auseinandersetzung mit diesem Verlust. Aber das wesentliche Thema ist die Verschiedenheit und Nichtkongruenz des weiblichen und männlichen Geschlechts. Der alte durstige Buick gibt nur den Katalysator ab, der diese Maschine ins Rollen bringt, es könnte aber ebenso gut auch irgendetwas anderes sein.


Der Protagonist Hasan Hujdur, ein bosnischer Muslim, lebt mit seiner schauspielernden Frau Angela in Toledo, Oregon. Viel ist dort nicht los, aber Schnee gibt es reichlich. Und so setzt der Roman ein mit der liebevollen und sorgfältigen Befreiung des Buicks von einem gewissen Quantum weissen Pulvers.
Doch schnell wird klar, das kultische Verhältnis Hasans zu diesem Auto, von dem er sagt, dass es „sein Amerika“ sei (S. 76), wird von Angela in keiner Weise geteilt und nicht im Ansatz verstanden. Mit ihr muss er „lange Gespräche über ihre Wünsche und Probleme und über das (…), was sie „gemeinsame Pläne“ oder seine „charakterlichen Mängel“ oder „die Unterschiede im Vergleich zu normalen Männern“ nannte“, führen. (S. 17 f.)
Dass das Auto Offenbarer männlich-weiblicher Missverständnisse ist, wird schon in einem Dialog auf S. 20 deutlich:
„(…) gestern habe ich einen Ölwechsel gemacht, und sie kam für einen Moment raus, noch im Schlafanzug, ich fragte sie, was machst du in der Kälte, Schatz, es friert doch, du holst dir noch den Tod, nein, sagte sie, aber ich mache mir Sorgen um dich, deine Nieren, meine Nieren sind völlig in Ordnung, sagte ich ihr, Schatz, warum machst du das jetzt, fragte sie, weil ich es gern mache, sagte ich ihr, und mich hast du nicht gern, fragte sie, Schatz, natürlich hab ich dich gern, und warum bist du dann nicht bei mir, weil ich gerade den Ölwechsel mache, das ist nicht normal, sagte sie, das ist wirklich nicht normal, und lief barfuss in den Schnee, Schatz, du holst dir den Tod, sagte ich, dann hole ich mir eben den Tod, sagte sie, aber diese Karre wird mir den Rest geben, sagte sie zweiundzwanzig Liter auf hundert Kilometer, weisst du, wie viel das ist, fragte sie, weisst du, was normale Autos verbrauchen, hast du schon mal was von der Ölkrise gehört…“. (S. 20 f.)
Schon hier werden einige Dinge eingebaut, die als „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ gelten können, man redet aneinander vorbei, Scheinargumente werden im Schild geführt.
Als „typisch weiblich“ soll gelten:
„Sie weiss jetzt, was dir wichtig ist, und sie wird so lange darauf herumreiten, bis sie es dir weggenommen hat.“ (S. 24)
Was die Einschätzung weiblichen Verhaltens durch die Figuren des Buches schon einmal markiert.
Und so kommt man auch zu dem Schluss:
„Eine Ehe ohne Streit, dass (sic!) ist wie Bohnen ohne Suppe, das gibt es einfach nicht…“ (S. 68)
Und kommt nicht umhin festzustellen:
„Wenn mir das vorher jemand erzählt hätte, ich hätte es nicht geglaubt. Nie im Leben!“ (Ebd.)
Das sagt Vuko, der im Lauf des Romans ins Spiel kommende andere Bosnier, der eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird für die Beziehung von Angela und Hasan und für den Buick Rivera.
Diesen nennt Hasan nicht nur „sein Amerika“, er hat mit diesem Auto „alles gemacht, es gibt mir Kraft, wenn mich das Leben ankotzt, und wenn mir alles über den Kopf wächst, dann schraube oder poliere ich daran herum. Es ist ein bisschen mein Zuhause…“. (S. 76)
Klar, dieses Idyll wird gestört werden. Damit kommt man nicht durch.
Denn die Spezialität der Frauen ist es, nicht lockerzulassen, sich auf etwas zu versteifen, eine Sache aufzubauschen und schliesslich in der Verfolgung ihres Ziels über Leichen zu gehen. (Vgl. ebd.)
Was dahin führen kann – oder muss? -, dass ein Mann mit mehr Wucht detoniert als ein Atom. (Vgl. S. 79)
Keine gute Basis für ein zufriedenes Zusammenleben, Streit ist die Folge und Verlierer gibt es naturgemäss zwei.
Die Welt ist eben voller schlechter Papierflieger und kleiner Enttäuschungen, wie es auf S. 89 heisst, das schlägt ganz schön rein in „die weiche Baumwolle der Seele“. (S. 98)
Angela schleppt Ballast aus der Kindheit mit sich herum, mit dem sie nicht klarkommt. Doch als ihr Hasan beistehen will und seine Analyse mitteilt, nennt sie ihn einen „Primitivling, der einer Frau mit der Axt den Schädel spaltet, wenn sie Kopfweh hat“, (S. 134) woraufhin er das auslösende Thema und seine Schlüsselworte zukünftig meiden wird. Was vermutlich auch wieder falsch sein wird.

„Er hatte weder über ihre Geschichte nachgedacht noch versucht, seine Rolle darin zu ermitteln. Wenn wir unseren Freunden, Kindern oder Eltern jede unserer Frustrationen und persönlichen Wahrheiten zumuten würden, müssten diese uns für einigermassen durchgeknallt halten. Aber wenn jemand sein Leben mit dir teilt, akzeptiert er das ganze Paket, auch die unverständlichen Teile und offensichtlichen Dummheiten, ohne deshalb anzunehmen, dass du lügst oder geistig nicht ganz auf der Höhe bist. Das ist wahrscheinlich der eigentliche Zweck, wenn sich zwei Menschen verbinden. Weder Sex noch Kinderwunsch liefern den Grund, auch nicht, dass Alleinsein schwer erträglich ist. Der Mensch braucht jemanden, der sein Leid mit ihm teilt und sich nicht zu oft fragt, ob diese Last letztlich blosser Ballast ist, Blei, Mühlsteine, etwas Wertloses, das man abschütteln müsste. (…)“ (S. 135)
Es geht um Empfindlichkeiten und Marotten und den Umgang mit diesen, der oft heillos ist. Und tragisch, weil beste Absichten sich in der Praxis gerade als Fallen erweisen. (Vgl. auch S. 135)
Was geht vor in Beziehungen zwischen Frauen und Männern?
Sie kocht – obwohl er es nicht will – sie zwingt es ihm auf – es misslingt – er ist schuld. (Vgl. S. 144 f.) Ein typisches, alltägliches Muster.
Aber dergleichen oder schliesslich der ganze Mensch, kann einem das Leben vergällen und schliesslich zu einem Klotz am Bein werden. (Vgl. S. 145)
Und dann kann man zu der bitteren Erkenntnis kommen:
„Sie liebte ihn sehr, aber nicht so, wie er neben ihr lebte, nicht so, wie er wirklich war.“ (S. 217)
Gut geht das freilich nicht aus. Denn auf diesem Weg wird aus „Liebe“ schnell Verachtung.
Es wird ein Duell geben.

Ein gutes, leicht lesbares, unterhaltsames Buch, auch gut geschrieben (wenn auch wieder mit einer Reihe lästiger Druckfehler! – geht das im 21. Jahrhundert nicht [mehr?] anders?). Kein Jahrhundertroman, aber gut gemacht, mit einigen interessanten Aufzählungen und mit einem Thema, das jeden betrifft. Wenn Karl Markus Gauss recht hat, aber besonders die Männer, denn er spricht in seiner Rezension von einem „Männerroman“ („Die Zeit“ vom 16.03.2006), was insofern richtig ist, als die Perspektive überwiegend bei Hasan liegt. Und wie Wolfgang Schneider in seiner FAZ-Besprechung (29.09.2006) sieht er in dem Buch einen novellistischen Roman.

Der Autor wurde 1966 in Sarajevo geboren.
1988 erscheint ein Gedichtband von ihm, weitere folgen, er bekommt Preise für sie.
Später erscheinen Kurzgeschichten, die ihn international bekannt werden lassen, so zum Beispiel: „Sarajevo Marlboro“ im Jahr 1996, für das er internationale Preise bekommt.
Sein Werk ist zurzeit in ca. 15 Sprachen übersetzt, er schreibt auch für Zeitungen und als Essayist.


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